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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sie es nicht in den falschen Hals bekommen hatte, hatte sie ihm einen Kuss gegeben.
    Im Moment war India wieder einmal extrem knapp bei Kasse. Sie war nur eine kleine Verkäuferin in dem Laden für Künstlerbedarf, und Sebastian verdiente mit seinen Gärtnerarbeiten noch weniger als sie. Sie gaben beide nicht viel aus und bemühten sich, über die Runden zu kommen, aber irgendwie drohten sie immer wieder in Schulden abzurutschen, so geschickt sie auch mit den Rechnungen jonglierte, so eisern sie sich jede unnötige Ausgabe verkniff. Auch diesen Monat reichte das Geld wieder nur, um entweder den Strom oder das Telefon zu bezahlen, beides ging nicht. Theoretisch, dachte India, konnten sie natürlich ohne Telefon auskommen, aber welch eine Vorstellung! Und sie musste ja auch noch Ellen ihr Geld zurückgeben. Keinesfalls wollte sie gerade bei ihr den Eindruck erwecken, sie wäre jemand, der seine Schulden nicht bezahlte.
    Ed hätte ihr das Geld geliehen, aber ihn wollte sie nicht fragen. India hatte ihre Prinzipien: Sie borgte nur von Leuten, bei denen es ihr nachher nicht leidtun würde, wenn sie nicht zurückzahlen konnte. Sie hatte das Kleid angenommen, weil es ein Geschenk gewesen war und sie Ed nicht hatte kränken wollen, doch mit Geld war das etwas ganz anderes. Außerdem war Ed gar nicht in London, er war mit seiner untreuen Ehefrau im Urlaub.
    In der französischen Brasserie, in der es nach Rotwein und Zigarettenqualm roch, war es fast stockfinster und so voll, dass man sich kaum bewegen konnte. Am Tresen konnte man, vorausgesetzt, man drang so weit vor, neben Absinth und Pastis auch Bier und Wein bestellen. An den Wänden hingen Anschläge in französischer Sprache, Relikte aus der Kriegszeit, als hier Soldaten der FFL, der freien französischen Streitkräfte, getrunken hatten. Eine Ahnung von Fremdsein und Exil teilte sich India mit, obwohl sie nie im Ausland gewesen war.
    Sie quetschte sich mit Garrett und ihren gemeinsamen Freunden in eine Ecke. Wenn man sich unterhalten wollte, musste man brüllen. Vinnie Spencer, der in Garretts Band das Saxophon spielte, hatte ein Mädchen namens Justine mitgebracht. Sie trug das Haar in einem abgestuften Pagenschnitt und war ganz in Schwarz gekleidet, schwarze lange Hose und voluminöser schwarzer Pullover. Mit lauter Stimme erzählte sie India von ihrer Arbeit als Revuetänzerin. »Ziemlich grauenvoll, ehrlich gesagt, ich muss als Katze mit spitzen Ohren und Schnurrhaaren rumhopsen, aber ich kann davon die Miete bezahlen, bis endlich mal meine Gedichte veröffentlicht werden.«
    Â»Du schreibst Gedichte? Wann kommen sie denn raus?«
    Â»Keine Ahnung. Ich habe sie noch gar nicht weggeschickt, weil ich mich immer noch mit dem Titel herumschlage. Ich weiß nicht, ob ich lieber Der gelbe Mond oder Regen am Nachmittag nehmen soll.«
    Â» Regen am Nachmittag «, sagte India mit Entschiedenheit. »Sag mal, du könntest mir wohl nicht ein paar Pfund leihen?«
    Â»Tut mir leid.« Justine schnippte Asche auf den Boden. »So viel bringt die Katzenrolle auch wieder nicht ein.«
    India und Garrett zogen weiter zum Colony Room, der über einer Trattoria in der Dean Street lag. Eine fest geschlossene Menschenmauer versperrte die mit Bambus verkleidete Bar, hinter der Muriel Belcher, eine schwarzhaarige junge Frau mit scharfem dunklem Blick und Habichtsnase, das Regiment führte.
    Drüben an der Ecke hing mit aufgestützten Ellbogen Oliver über dem Tresen, der Eigentümer der Werkstatt, in der die Autos aufgemöbelt wurden, die Garrett auslieferte. Wenn er flüssig war, würde er ihr vielleicht etwas leihen, sagte sich India hoffnungsvoll, auch wenn es nicht gerade ermutigend war zu sehen, wie er jedes Mal, wenn seine Lider herabfielen, vom Tresen abrutschte und dann mit einem Ruck wieder hochfuhr. Als Garrett ihn begrüßte, nuschelte er etwas Unverständliches vor sich hin. »Sturzbesoffen«, sagte Muriel Belcher unwirsch. »Ihr könnt ihn gleich wegbringen, bevor er anfängt, hier Ärger zu machen.« India strich Oliver von ihrer Liste.
    Dann stieß Vinnie wieder zu ihnen und erzählte, er habe gehört, dass bei Peachey groß was los sei, also machten sie sich alle auf den Weg zur Tite Street. Ein junger Mann mit krausem rotem Haar öffnete ihnen und blies ihnen den Rauch eines kleinen schwarzen Zigarillos entgegen, während er sie von oben bis unten

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