An einem Tag im Winter
musterte.
»Na, dann kommt mal rein.«
»Hallo, Simon«, sagte India. »Ist Laurence hier?«
»Ach, das weiÃt du gar nicht? Er ist im Krankenhaus. Er hat sich irgendwo die Masern geholt und wäre fast dran gestorben.« Simon grinste ein wenig. »Ziemlich würdelos, sich in seinem Alter noch die Masern zu holen.«
Drinnen zog Billie Holidays kraftvolle und zugleich zerbrechliche Stimme durch die schummrig erleuchteten Räume, in denen Peacheys schwüles orientalisches Parfum und ein Hauch von Muffigkeit hingen. An den tiefvioletten Wänden im Vorsaal prangten auf der einen Seite ein groÃer Spiegel mit vergoldetem Rahmen und auf der anderen ein überdimensionales Aktgemälde, das eine lachsrosa Frau mit groÃer Nase und schwarzen Augen auf einem lila Sofa zeigte; ein Stück weiter, am Fuà der Treppe, stand eine lädierte Marmornymphe und reckte die Arme in die Luft, als wollte sie eine Glühbirne wechseln. Garrett warf seinen Schal über eine der erhobenen Hände.
India ging gleich zur Küche im Souterrain hinunter, wo es noch unerfreulicher roch als im Rest des Hauses. Im Spültisch stapelten sich Türme von schmutzigem Geschirr, auf dem Boden hockten mehrere Katzen und fraÃen schmatzend aus Untertassen. Eine groÃe weiÃe Perserkatze, eine dicke flauschige Kugel mit mächtigen Schnurrhaaren, stieg mit spitzen Pfoten über das Chaos auf dem Spültisch hinweg.
Mrs. Peachey, in einem dunkelgrünen Satingewand im Stil der Zwanzigerjahre, saà mit einer Zigarette im Mund und einer getigerten Katze auf dem Schoà am Küchentisch. Sie war groà und breitschultrig, und ihr langes, einst interessantes Gesicht hatte sich in Runzeln und Fältchen zur Geschlechtslosigkeit des Alters zusammengezogen. Als die Katze unruhig wurde, streichelte sie ihr mit faltiger, von Altersflecken übersäter Hand sachte den Rücken.
Sobald sie India bemerkte, sah sie mit verdrieÃlichem Blick auf. »Ich habe keinen Tropfen Gin mehr da. Diese Bande hat alles leer getrunken. So früh am Abend, eine Schande ist das. Du hast wohl nicht zufällig welchen dabei?«
»Leider nicht. Ich wollte dich fragen, ob du mir vielleicht fünf Pfund leihen kannst.«
»Kein Drandenken, Darling. Das ist der Fluch des Alters, man hat nie Geld. Wenn ich zwanzig wäre, würde ich John oder Sickert Modell sitzen, und schon würde die Kasse wieder klingeln.« Anzüglich fügte sie hinzu: »Ein appetitliches Ding wie du müsste doch Möglichkeiten haben. Probierâs bei Bernie, der hat immer die Taschen voll.«
»Ist er hier?«
»Nein, nach dem letzten Mal kommt der mir nicht mehr ins Haus. Aber beeil dich lieber, India, bevor eine andere ihn dir wegschnappt.« Peachey lachte schrill. Die Tigerkatze machte einen Buckel. »Wo ist denn dein gut aussehender Freund?«
»Garrett? Der ist oben.«
»Sag ihm, er soll runterkommen und mir guten Tag sagen.«
Oben, im Wohnzimmer mit den fraisefarbenen Wänden, wurde getanzt. Auch hier hingen Gemälde, gröÃtenteils Akte von Peachey in ihrer besten Zeit. India hatte sich einmal als Modell versucht, aber das lange Stillsitzen hatte sie fast wahnsinnig gemacht.
Als Simon eine neue Platte auflegte, begann Justine zu tanzen, allein zuerst, mit weichen, geschmeidigen Bewegungen, dann gesellte sich Simon zu ihr.
»Wie geht es dir, India?«, fragte Vinnie.
»Ach, ganz gut, danke. Peachey will mir kein Geld leihen.«
»Sie hat wahrscheinlich mal wieder eine ihrer Launen, die biestige alte Schachtel.« Vinnie sah sie teilnahmsvoll an. »Ich könnte dir Ende der Woche was leihen.«
India war nicht sicher, ob sie am Ende der Woche überhaupt noch ein Telefon haben würden, dennoch sagte sie: »Das ist lieb von dir«, und drückte seine Hand. Dann zog Garrett sie zur Mitte des Zimmers, und sie lehnte sich in seine Arme und schloss die Augen, um Wange an Wange mit ihm zu tanzen.
Wenig später warf die immer noch schlecht gelaunte Peachey sie alle hinaus. Da India hungrig war, kaufte Garrett eine Portion Fish and Chips, die sie sich teilten. Danach stritten sie darüber, ob sie nun zu Bernies Fete gehen sollten oder nicht. Am Ende gab India nach â »Na schön, aber höchstens für eine Stunde« â und nahm mit ihm die U-Bahn nach Mayfair.
Der Klub war, wie sich zeigte, genau das, was India jetzt brauchte. Der
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