An einem Tag im Winter
»Krabbencocktail mit Orangen.«
»Hm, klingt köstlich.«
»Und Rindfleischpastete und zum Nachtisch Zitronenspeise. Wein habe ich auch gekauft.«
Eine Flasche Rotwein stand auf dem Fensterbrett zwischen Topfkratzern und Geschirrspülmittel. Pearl schenkte sich nach, nahm dann ein Glas vom Abtropfbrett und goss Riley ein. Tiefrote Spritzer tropften ins Spülbecken.
»Was wollte ich gerade?«, fragte sie. »Ach ja, der Eischnee.« Sie klemmte sich eine Schüssel zwischen Arm und Brust und begann, Eiweià zu schlagen. Plötzlich stellte sie die Schüssel ab und stocherte auf etwas ein, das in einem Topf auf dem Herd stand. Danach schaute sie in die Backröhre. Als sie sich wieder aufrichtete, sagte sie verwirrt: »Ich wollte doch irgendwas tun â¦Â«
»Der Eischnee. Kann ich dir helfen?«
»Keine Angst, ich kann kochen«, erwiderte sie und sah ihn mit kaltem Blick an. »Wirklich, John, manchmal habe ich den Eindruck, du hältst mich für völlig unfähig.« Dann hellte ihr Gesicht sich auf. »Ach, such doch mal ein paar Kerzen raus. Wir brauchen Kerzen, ich liebe Kerzen. Dann wirdâs hier gleich nicht mehr so düster sein.«
Riley ging zuerst nach oben, um nach Annie zu sehen, die fest schlief, und dann ins Schlafzimmer, wo er sein Jackett weghängte und die Krawatte lockerte. Nachdem er noch die Post durchgesehen hatte, kramte er aus dem Schrank unter der Treppe ein paar Kerzen hervor. Die ganze Zeit über spürte er eine schreckliche Kälte in seinem Inneren.
Plötzlich hörte er lautes Scheppern und einen Schrei und lief in die Küche.
»Pearl? Was ist passiert?«
Sie stand am Herd und starrte in den Topf, den sie in der Hand hielt. »Die Kartoffeln sind angebrannt!« Sie knallte den Topf auf den Herd. »Schauâs dir an. Die kann man nicht mehr essen. Und dafür die ganze Arbeit. Warum hast du nichts gesagt? Du musst es doch gerochen haben? Warum muss immer ich alles machen?«
»Komm, ist doch halb so schlimm. Ich mach das schon.« Er wollte den Topf nehmen, aber sie packte ihn vor ihm und schlug noch einmal damit krachend auf den Herd.
Von oben erklang ein Schrei. »Na bitte«, zischte Pearl. »Endlich hast duâs geschafft. Jetzt ist sie aufgewacht.«
Riley lief hinaus. Als er nach oben rannte, merkte er, dass ihm der Unterkiefer wehtat vor Anspannung.
Annie saà mit geballten Fäusten aufrecht im Bett. »Daddy, da war so ein lautes Geräusch«, flüsterte sie.
»Alles ist gut, Schätzchen, Mama ist nur was runtergefallen.« Er streichelte ihr das Haar. »Leg dich hin und schlaf weiter.«
Annie kuschelte sich wieder in ihr Kissen. Während er darauf wartete, dass sie wieder einschlief, lauschte er nach unten. Das Einzige, was ihn und Pearl jetzt noch verband, so schien ihm, war die Liebe zu ihrer gemeinsamen Tochter. Er hatte gelernt, Pearls Stimmungen an den Blicken einzuschätzen, mit denen sie ihn ansah, an dem Ton, in dem sie mit ihm sprach. Er hatte gelernt, Niedergeschlagenheit, Wut und Eifersucht mit einem einzigen Blick zu erkennen. So, wie er Pearl an diesem Abend erlebte, hatte er sie schon oft erlebt: voll von hektischem Tatendrang und Ãberschwang, die in plötzlichen Anfällen von Wut und Argwohn verpuffen konnten. Wenn er sie darauf ansprach, brach sie entweder in Tränen aus oder stürzte sich schreiend auf ihn und schlug mit Fäusten auf ihn ein.
Um Annies willen bemühte er sich stets, sie zu besänftigen. Seine Tochter sollte nicht im Krieg aufwachsen. Aber es fiel ihm immer schwerer, diese traurige Farce von Liebe und Zuneigung durchzuhalten und das bedrückende Gefühl, rettungslos gefangen zu sein, wenigstens zeitweise abzuschütteln. Er sah keinen Ausweg aus der Situation, weder für sich noch für Pearl. Am Tag ihrer EheschlieÃung hatten sie einander versprochen, ein Leben lang zusammenzubleiben, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod sie scheide. Annie brauchte einen Vater und eine Mutter. Manchmal behauptete Pearl noch, ihn zu brauchen, ihn zu lieben. Bei ihm selbst war von der Leidenschaft, mit der er sie einmal geliebt hatte, nichts als gelegentliche Regungen kalten Mitleids geblieben.
Als Annie wieder eingeschlafen war, kehrte Riley in die Küche zurück. Pearl saà am Tisch, den Kopf in den Händen. Sie blickte auf, als er eintrat. »Tut mir leid«, flüsterte sie.
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