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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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zu suchen. Ihm spukte da etwas im Kopf herum; er stellte sich ans Fenster seines Büros und schaute zu den grauen, von Kriegswunden durchsetzten Straßen Londons hinaus, während er versuchte, sein Gedächtnis anzustoßen.
    Aber seine Gedanken schweiften ab, wie so oft, seit er Ellen Kingsley wiederbegegnet war. Er spürte wieder die Freude, die ihn durchzuckt hatte, als er sie erkannte, die Berührung ihrer Hand, sah wieder ihr Lächeln vor sich. Er dachte zurück an das erste Mal, als er sie in Gildersleve Hall gesehen hatte – das dunkle rote Haar, das sich von ihrem weißen Gesicht abhob, wie angestrengt sie sich trotz des Schocks, den sie erlitten hatte, um Fassung bemüht hatte.
    Gerade er hatte mehr Grund als die meisten, dem coup de foudre , der Liebe auf den ersten Blick, zu misstrauen. Pearl hatte ihn gelehrt, dass erste Eindrücke täuschen konnten und dass es gefährlich war, sich ohne weitere Prüfung auf die erste gefühlsmäßige Reaktion zu verlassen. Er würde einen höflichen kleinen Brief im Krankenhaus abgeben, beschloss er, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Mit einer persönlicheren Geste würde er höchstens riskieren, in den gleichen Schlamassel hineinzugeraten, aus dem er sich gerade erst unter Schmerzen befreit hatte.
    Das Telefon läutete. Er hob ab und meldete sich.
    Â»Hallo, Riley«, sagte Ellen.
    Garrett und Clive renovierten ein Haus in Kensington. Als India am Samstagmittag, nachdem der Laden geschlossen hatte, dort ankam, fand sie die Haustür angelehnt und trat ein. Es war eiskalt im Haus, deshalb behielt sie Mantel und Handschuhe an, während sie auf Erkundungstour ging. Stuckornamente in Form von laubumkränzten Rosen schmückten die Decken der großen Räume, das wässrige Winterlicht flutete durch hohe Fenster. In einem Raum mit Blick auf den Garten hinter dem Haus fand sie ein Ölgemälde von drei kleinen Mädchen in langen Kleidern. Sie fragte sich, wie es wäre, in so einem Haus zu leben, verheiratet zu sein und drei Töchter zu haben. Es bereitete ihr Schwierigkeiten, sich das auszumalen, es fiel ihr wie immer schwer, sich eine glückliche Ehe vorzustellen, aber sie liebte kleine Kinder und erinnerte sich genau an den Tag, an dem Sebastian zur Welt gekommen war. Ihr Vater hatte sie morgens geweckt und gesagt, er habe eine Überraschung für sie. Dann hatte er sie in das Schlafzimmer geführt, das er mit ihrer Mutter teilte, und ihr das Baby in der Wiege gezeigt. Sie hatte Sebastians vollendet geformtes kleines Gesichtchen, die winzigen Finger und Zehen, wie Perlen aufgereiht, niemals vergessen.
    Gedanken an Heirat und Kinder waren für India meistens nicht mehr als Phantasterei, aber an diesem Morgen, als sie mit Garrett im Bett gelegen hatte, hatte er gesagt, er liebe sie. Liebte sie ihn auch? In solchen Dingen hatte sie wenig Erfahrung, konnte es also nicht mit Sicherheit sagen.
    Sie ging ins Freie hinaus und setzte sich auf eine niedrige Mauer am Ende der Terrasse, um einen von den Schokokeksen mit Marmelade zu essen, die sie sich mitgenommen hatte. Garrett kam heraus und klappte fröstelnd den Kragen seiner Lederjacke hoch.
    Â»Lass mich mal beißen«, sagte er. India brach den Keks in der Mitte auseinander und reichte ihm eine Hälfte.
    Â»Was ist los mit dir?«, fragte sie, als sie sein mürrisches Gesicht sah.
    Â»Ach, ich hab die Nase voll von London.«
    Â»Dann lass uns weggehen.«
    Er warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Ja, warum nicht? Wir könnten nach Paris fahren. Oder nach Südfrankreich, das wäre noch besser.«
    Â»Rom«, stimmte sie ein. »Oder Venedig. Wir könnten in einer Gondel durchs Wasser schaukeln.«
    Â»Nein, im Ernst. Wir brauchen nur den nächsten Zug zu nehmen.« Garretts Miene hellte sich auf. »Vom Victoria-Bahnhof aus fährt ein Nachtzug.«
    Â»Ein Nachtzug«, wiederholte India.
    Â»Du setzt dich rein, machst die Augen zu, und wenn du aufwachst, bist du in Südfrankreich. Von Marseille aus kannst du mit dem Schiff direkt weiterfahren nach Afrika. Wir könnten nach Casablanca reisen. Casablanca  – stell dir nur vor, Indy.«
    Â»Ich gehe gleich los und packe meine Badesachen.«
    Â»Ehrlich? Super.«
    Â»Ach, sei nicht blöd. Natürlich mach ich das nicht.«
    Â»Wenn’s das Geld ist –«
    Â»Ach, du hast wohl zu viel davon, Garrett?«, fragte sie

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