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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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treuer sind.«
    Â»Sie bewundern Treue?«
    Â»Aber ja.«
    Â»Ich frage mich, ob sie nicht manchem als Entschuldigung dafür dient, sich nicht weiterzuentwickeln und in alten Mustern zu verharren.«
    India hätte gern gewusst, ob seine Frau das auch so sah. »Vielleicht sind Sie einfach leicht gelangweilt.«
    Â»Vielleicht, ja. Aber jetzt langweile ich mich gar nicht, also erzählen Sie mir mehr von sich, Miss Mayhew, und verhindern Sie, dass die Langeweile sich wieder einstellt. Sie arbeiten in einem Geschäft für Künstlerbedarf, und Sie sind nicht verheiratet. Was gibt es sonst noch für mich zu entdecken? Was tun Sie noch?«
    Â»Oh, mein Leben ist sehr vielfältig, und ich bin ständig unterwegs. Ich habe schon in den verschiedensten Ländern gelebt, wegen meiner Eltern. Mein Vater ist im diplomatischen Dienst. Wir waren eine Zeit lang in Paris – in Rom – in Venedig …«
    Â»Ein Diplomat – vielleicht kenne ich ihn?«
    Das war gefährliches Terrain, und India schlug rasch einen Haken. »Am liebsten«, sagte sie träumerisch, »bin ich natürlich zu Hause in Applegarth. So heißt unser Haus. Wenn Sie es sehen könnten, würden Sie sagen, dass es das schönste alte Haus ist, das Sie je erblickt haben. Mit einer Wiese und einer Obstplantage und einem wunderbaren Garten.«
    Â»Das klingt idyllisch. Wo ist es?«
    Â»In Devon.« India war vor Kurzem mit Garrett nach Devon gefahren, um dort ein Auto abzuliefern, und war begeistert gewesen.
    Â»Ihre Familie steht Ihnen wohl nahe?«
    Â»Ja, sehr.«
    India sah die Küche von Applegarth vor sich. Sie war ihr der liebste Raum im Haus. Sie kannte jeden Gegenstand darin und hatte in diesem Moment heftige Sehnsucht nach ihrer vertrauten Geborgenheit. Der massige, alte eiserne Ofen sorgte für wohlige Wärme, wenn die Familie an dem großen Fichtentisch mit dem blau-weiß gestreiften Geschirr beisammensaß. Das freundliche Blumenmuster der Vorhänge war anheimelnd verwaschen, der alte Küchenschrank mit Familienschätzen vollgestopft. Die Haushälterin, eine nette Frau mit rosigen Apfelbäckchen, war gerade beim Abspülen, und Indias Mutter backte Scones. Ihr Vater blickte lächelnd von seiner Zeitung auf, als India eintrat, und sagte: »Und was würde mein Sonnenschein heute gern unternehmen?«
    Â»Finden Sie nicht auch?«, fragte Marcus Pharoah.
    India fuhr leicht zusammen. »Wie bitte?«
    Â»Ich sagte, wir müssen dankbar sein, dass Sie hin und wieder Ihr kleines Paradies verlassen.«
    Sie bemerkte etwas in seinem Blick, das ihr bekannt vorkam. Gier vielleicht, oder Verlangen. Aber vielleicht machte er sich auch über sie lustig, vielleicht hatte er sie durchschaut und amüsierte sich über sie. Irgendwie hatte er in dem Gespräch die Oberhand gewonnen. Das Hochgefühl, das sie sich an diesem Nachmittag mit dem Diebstahl des Kleides verschafft hatte, verpuffte, und es blieb nichts als Leere. Sie merkte, dass sie keine Lust hatte, weiter mit ihm zu reden.
    Die Band stimmte »Try a Little Tenderness« an. India suchte im Gedränge nach Michael.
    Â»Vielen Dank für den Drink, Marcus«, sagte sie höflich und gab ihm die Hand. »Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen, ich möchte tanzen.«

5
    ELLEN HATTE ANGE RUFEN UND RILEY MIT seiner kleinen Tochter zum Tee eingeladen. Er hatte angenommen, und am folgenden Sonntag verstaute er Annie und den Strauß gelber Chrysanthemen, den er am Vortag besorgt hatte, im Wagen und fuhr nach Islington.
    Sie saßen zu siebt um den Tisch in der unaufgeräumten Küche des vierstöckigen Hauses. Joe Kingsley, blond und lebhaft, war seiner Schwester sehr ähnlich und hatte die gleichen prüfend blickenden grauen Augen wie sie. Die Geschwister India und Sebastian Mayhew gaben ein seltsames Paar ab. Sebastian, offensichtlich noch sehr jung, hatte ein wahres Engelsgesicht und verhielt sich trotz Rileys Bemühungen, sich mit ihm zu unterhalten und ihn ein wenig aufzulockern, auffallend still und nervös. Auch seine Schwester India hatte dieses Engelhafte an sich, aber man spürte instinktiv, dass sie alles andere als ein Engel war. Sie hatte eine hübsche, wohlgerundete Figur, große blaue Augen und einen roten Kirschmund. Gefährlich, dachte Riley bei sich. Obwohl ihr Freund Garrett neben ihr saß, flirtete sie ungeniert mit jedem der

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