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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Männer, einschließlich Riley. Sie lockte ihn nicht; er war zu vielen India Mayhews in ganz anderen, bedrückenden Situationen begegnet, hübschen jungen Frauen, die Opfer ihres Lebenshungers und ihrer Verführbarkeit geworden waren. Aber er mochte sie. Sie hielt die Unterhaltung in Gang mit ihrer guten Laune, geizte nicht mit ihrem Lächeln und war nett zu Annie, behandelte sie nicht gönnerhaft und ließ sie nach Herzenslust in ihrer großen, schmuddeligen Schminktasche kramen.
    Und sowieso – weshalb hätte er sich für eine andere Frau interessieren sollen, wenn Ellen hier war? Er bemerkte den lockeren, humorvollen Ton zwischen ihr und ihrem Bruder und beobachtete, wie entspannt und liebevoll sie mit Annie umging. Hin und wieder fing er einen Blick von ihr auf. Manchmal schien ihre amüsierte Miene seine eigenen Gedanken über India Mayhew zu spiegeln – Ja, ich weiß, sie ist flatterhaft und macht viel Getöse, aber sie ist nett, oder nicht? Und manchmal erkannte er etwas anderes, eine Emotion, die ihm vertraut war, seit er sie in den Gesichtern der Frauen aus seiner Nachbarschaft gesehen hatte, die nach Pearls Verschwinden bei ihm geläutet und ihm Kuchen und ein Süppchen und gelegentlich auch mehr angeboten hatten.
    Mitleid.
    Das stellen wir besser schnellstens richtig, dachte er. Nach dem Tee gingen die Mayhews und Indias Freund, Ellen holte ihr Mikroskop und zeigte Annie, wie man es gebrauchte. Während Riley mit Joe Kingsley über Rugby fachsimpelte, beobachtete er Annie und Ellen. Lange war Annie nach Pearls Verschwinden nachts von schlechten Träumen geweckt worden. Bei Tag schien sie ins Kleinkindliche zurückzufallen, lutschte wieder am Daumen und trotzte wie eine Zweijährige. In der Schule hatte es einige Zusammenstöße gegeben, und sie war wegen Ungezogenheit bestraft worden. Gleich, wie er selbst Pearls Abwesenheit empfand, wie entlastend es für ihn war, sich jetzt einzig um seine Tochter kümmern zu müssen und nicht auch noch um seine Frau, Annie vermisste ihre Mutter jede Minute, und das tat ihm um ihretwillen bitter weh. Es machte ihn froh, sie jetzt lächeln zu sehen und aufgeregt kommentieren zu hören, was sie durch das Mikroskop erblickte.
    Am Ende des Nachmittags brachte Ellen ihn und Annie zu seinem Wagen hinaus. Sie dankte ihm für die Blumen, und er dankte ihr für die Einladung. Und dann, ehe sie auf Wiedersehen sagen und ins Haus gehen konnte, bat er sie, am folgenden Wochenende zum Abendessen zu kommen.
    Das Telefon läutete. India, die vermutete, es wäre Garrett, rutschte vom Sofa und hob den Hörer ab.
    Â»Miss Mayhew? Marcus Pharoah hier. Ich wollte fragen, ob Sie nicht Lust haben, ein Glas mit mir zu trinken.«
    India überlegte. Dann sagte sie: »Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich habe im Augenblick leider wahnsinnig viel zu tun«, und legte auf.
    Am nächsten Abend rief er wieder an, und India wimmelte ihn wieder ab.
    Als er das dritte Mal anrief, fragte er: »Warum weisen Sie mich jedes Mal ab?«
    Â»Weil Sie zu alt sind«, sagte sie. »Und zu eingebildet. Und weil ich von Männern wie Ihnen genug habe.«
    Â»Ich bin dreiundvierzig«, sagte er. »Wie alt sind Sie?«
    Â»Zweiundzwanzig.«
    Schweigen.
    Â»Sie sind beinahe doppelt so alt wie ich«, stellte sie fest.
    Â»Ja, das ist wahr. Ich hätte Sie für älter gehalten.«
    Â»Ich führe eben ein intensives Leben«, erklärte sie schnippisch.
    Â»Sie haben Ausstrahlung. So viele junge Frauen wirken unausgegoren, als hätten sie ihre Persönlichkeit noch nicht gefunden.«
    Â»Ach, da Sie sind wohl Experte, Marcus?«
    Â»Es ist lediglich eine Beobachtung, die ich gemacht habe. Finden Sie denn, dass das Alter eine Rolle spielt?«
    Â»Ich weiß nicht. Wenn Sie ›unausgegoren‹ sagen, meinen Sie langweilig, vermute ich.«
    Â»Es gibt viele langweilige Menschen, aber das Alter hat damit meiner Ansicht nach wenig zu tun. Es ist mehr eine Frage der Lebenseinstellung. Ich könnte Ihnen zahlreiche Vorteile nennen, die ein höheres Alter mit sich bringt. Ich kenne die besten Lokale, und ich kann sie mir leisten. Ich würde Sie gewiss nicht mit Beschlag belegen.«
    Â»Und«, warf sie ein, »Sie sind verheiratet.«
    Â»Ja, ich bin verheiratet, aber ich bin schon lange nicht mehr glücklich in meiner Ehe.«
    Â»Das sagen Männer immer«, entgegnete

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