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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Der Besuch, eine Miss Cassidy, wollte sie beide mitnehmen, in ein schönes Haus auf dem Land.
    India kam ohne Umschweife zum Kern und fragte Mrs. Day, ob sie jetzt Miss Cassidys Kinder wären.
    Miss Cassidy lachte ein wenig und sagte: »O nein, ich bin nur eine Kinderschwester.«
    Mrs. Day ließ sich keuchend auf einen niedrigen Stuhl sinken, blickte India in die Augen und erklärte, dass sie sie und ihren Bruder gern behalten hätte, doch Reg habe davon nichts wissen wollen. Reg mochte keine Kinder. Miss Cassidy würde sie in ein wunderschönes Heim bringen, wo sie bestimmt sehr glücklich sein würden.
    Â»Aber wir bleiben doch zusammen, oder?«, fragte India. »Wir schlafen im selben Zimmer? Sebastian kann nicht schlafen, wenn ich nicht da bin.«
    Â»Ja, natürlich.«
    Â»Versprechen Sie es?«
    Miss Cassidy versprach es. Dann wurden ihre Sachen in den alten Koffer ihrer Mutter gepackt, und Miss Cassidy führte sie aus dem Laden. Erst fuhren sie mit dem Bus, dann mit dem Zug, mit einmal Umsteigen, dann noch einmal mit einem Bus, und am Schluss mussten sie laufen, eine lange, schmale Straße zwischen Stoppelfeldern entlang. Miss Cassidy bestand darauf, Sebastian an die Hand zu nehmen, obwohl India wusste, dass er lieber an ihrer Hand gegangen wäre. »Das sind die Regeln, junge Dame.« India merkte gleich, dass Miss Cassidy sie nicht mochte, aber gegen Sebastian schien sie nichts einzuwenden zu haben, das war ein Trost.
    Es war ein langer Tag, und als sie in Charnwood ankamen, ging schon die Sonne unter. Miss Cassidy führte sie durch ein Tor und dann einen Kiesweg hinunter, der in einen staubigen Hof führte, in dem Kinderwagen standen. Durch eine Seitentür und über mehrere Korridore wurden sie in ein Zimmer gebracht, wo eine Frau mit einem Schwesternhäubchen ihnen in den Hals schaute und in ihren Haaren nach Nissen suchte.
    Nach einer Weile kam Miss Cassidy wieder ins Zimmer. »Wohin mit ihnen?«, fragte sie.
    Â»Das Mädchen auf elf, der Junge auf sechs.«
    Â»Aber wir schlafen im selben Zimmer«, sagte India.
    Â»O nein, Kind«, erklärte die Frau mit dem Schwesternhäubchen. »Mädchen und Jungen schlafen immer getrennt.«
    Miss Cassidy wollte Sebastian bei der Hand nehmen, aber India riss ihn an sich und hielt ihn fest. Es wurde jemand gerufen, und sie nahmen ihr Sebastian weg. Dann hielten sie sie fest, da sie um sich schlug und strampelte wie eine Wilde, und Miss Cassidy trug den schreienden Sebastian aus dem Zimmer.
    Das schrille Läuten des Telefons schien mit der Erinnerung an Sebastians Geschrei zu verschmelzen.
    India rutschte vom Sofa, ihre Zeitschrift fiel zu Boden. Sie hob den Hörer ab und meldete sich.
    Es war Marcus Pharoah. Sie hatte die Nase voll von allem und restlos genug von den Leuten um sie herum. Sie brauchte eine Abwechslung. Als er sie auf einen Drink einlud, sagte sie: »Ja, wenn Sie mögen. Ich habe nichts vor.« In dem kurzen Moment der Stille, der darauf folgte, fragte sie sich, ob er sich jetzt als Sieger fühlte oder ob ein Teil von ihm bedauerte, dass die Jagd zu Ende war.
    Weihnachten im Haus ihrer Eltern in Wiltshire war wie immer: köstliches Essen, von ihrer Mutter gekocht, Kabbeleien mit Joe beim Schachspielen und lange Spaziergänge mit ihrem Vater über die dünn mit Schnee bestäubte Hochebene von Salisbury.
    Dennoch hatte sich etwas verändert. Im Zug zurück nach London fiel ihr auf, dass sie zum ersten Mal das Gefühl hatte, nach Hause zu fahren. Nicht fort von zu Hause, sondern zurück zu ihrem Zuhause in London.
    Sie traf sich mit ihren Freunden. Mit Leuten aus dem Labor, die bei Brot, Käse und Bier aus dem Pub ein kleines Fest veranstalteten. Mit India und Sebastian zum Abendessen mit Knallbonbons und den kalten Resten eines Plumpuddings. Als später das Telefon läutete, stürzte India hinaus und schloss die Wohnzimmertür hinter sich, und Sebastian zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Irgendein Neuer.«
    Ellen fragte sich, was aus dem dunklen, frechen Garrett geworden war, mit dem sie einmal in der Küche der Mayhews getanzt hatte.
    Gemeinsam mit Riley unternahm sie einen langen Spaziergang durch Hampstead Heath. Annie rannte mit einem Drachen einen holprigen, grasbewachsenen Hang entlang, der Drachen torkelte und taumelte und flog dann in die Luft, und Annies Mantel leuchtete rot vor den gedämpften Grau- und Brauntönen der

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