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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Bäume.
    India verkaufte die Schäferin aus Dresdener Porzellan, den Clarice-Cliff-Krug und den Briefbeschwerer aus venezianischem Glas und gab Garrett das Geld, damit er es Bernie zurückzahlen konnte. Das Wohnzimmer sah nackt aus ohne die Zierstücke. Sie hatten Rachel gehört und seit jenem Tag, an dem India und Sebastian die Wohnung zum ersten Mal betreten hatten, immer auf dem Kaminsims gestanden. Rachel hatte India erlaubt, die kleine Schäferin mit den rosigen Wangen und dem rosafarbenen Kleid in der Hand zu halten. India hatte kaum glauben können, dass sie jetzt in einer Wohnung leben würden, in der es so außergewöhnliche Dinge gab. Die Kargheit im Waisenhaus hatte sich ihr tief eingeprägt, obwohl sie und Sebastian nur sechs Wochen dort gelebt hatten.
    India stellte eine Vase auf den Kaminsims, und Sebastian tat Stiefmütterchen hinein, aber es war nicht dasselbe. Sie sah Garrett nicht mehr so häufig, weil das auch nicht mehr dasselbe war. Schlimme Erfahrungen mochte Garrett an sich abperlen lassen, aber die Verletzung über dem Auge war nicht gut verheilt. Sie hatte recht gehabt, er hätte sie nähen lassen sollen. Sie ging auf Weihnachtsfeste, und wenn Bernie auch kam, achtete sie stets darauf, dass sie nicht mit ihm allein war, sondern immer mit anderen zusammen.
    Im Januar fand sie eine Anstellung als Bedienung in einem Café unweit des Britischen Museums. Die Arbeit war ganz in Ordnung, aber noch schlechter bezahlt als ihre frühere im Künstlerladen. Abends fuhr Marcus Pharoah mit ihr aufs Land hinaus, wo sie in ruhigen, gediegenen Restaurants an einem Fluss oder in einer kleinen Marktstadt zu Abend aßen. India vermutete, dass er nicht mit Bekannten zusammentreffen wollte, schließlich war er verheiratet. Ellen erzählte sie nichts von Marcus Pharoah, weil sie wusste, dass sie auf Missfallen stoßen würde. Man erzählte den Leuten nur, was sie hören wollten, das hatte India schon vor langer Zeit gelernt. Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen, aber sie wusste genau, wie das Gespräch verlaufen und wie verletzt Ellen darüber sein würde, dass sie ihr die Treffen mit Marcus, den Ellen noch dazu nicht mochte, wochenlang verheimlicht hatte. Wozu Ellens Ärger für etwas riskieren, was sowieso nicht dauern würde?
    Manchmal standen die Tische in den eleganten Restaurants neben großen Panoramafenstern. Hin und wieder glitt, nur von einer Fackel oder einer Laterne beleuchtet, ein Ruderboot durch die Dunkelheit auf der Themse, und das Wasser, das von den Rudern tropfte, leuchtete perlweiß. Die Restaurants gehörten zu denen, wo die Kellner lautlos herbeieilten, um eine heruntergefallene Gabel aufzuheben oder um den Stuhl herauszuziehen, wenn man aufstand oder sich setzte. Kristall klirrte leise, Kerzenlicht schimmerte, und wenn man die Serviette auseinanderfaltete, war sie so dick und steif wie Pappkarton. Das alles hatte wenig gemeinsam mit Indias Stammcafé in Bloomsbury, wo die Gäste, während sie ihre Bücher oder Zeitungen lasen, die Zigarettenasche auf den Boden fallen ließen und so geistesabwesend ihren Kaffe umrührten, dass er in die Untertasse schwappte.
    Sie machte alles mit. Eine Frau brauchte ab und zu eine kräftige Mahlzeit, und die Zeiten waren hart. Sie schlief nicht mit ihm, weil das nur Komplikationen gegeben hätte. Außerdem hatte sie dieses ganze Theater satt, hatte genug von Männern, die alles Mögliche von ihr wollten, hatte angefangen, sich ein wenig schmuddelig zu fühlen. India Mayhew, dieses Traumgeschöpf, Tochter eines Diplomaten, geliebtes Kind liebender Eltern, ein luftiges Fabelwesen wie ein Einhorn im Wald, fühlte sich abgenutzt an, beinahe verschlissen. Also setzte sie sich zu ihm in seinen grünen Sportwagen und ließ sich in schicke Restaurants in Henley und Newbury einladen. Irgendwann, in ein paar Monaten, würde er ohnehin das Interesse an ihr verlieren, oder sie würde die Sache beenden, und sie würden einander vergessen.

6
    EIN WINDIGER UND REGNERISCHER Donnerstagabend im Februar. Der Seminarraum im University College war schon voll, als Ellen und Professor Malik zu einem Treffen der Biochemischen Gesellschaft eintrafen, deshalb nahmen sie in einer der hinteren Reihen Platz.
    Während auf dem Podium ein Wissenschaftler aus Oxford zu einem Vortrag über die Struktur der Enzyme ansetzte, schaute Ellen sich ohne besonderes Interesse

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