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An einem Tag wie diesem

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Titel: An einem Tag wie diesem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stamm
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Frauen an und wollte doch nur mit Delphine tanzen, die ihre Hände an seine Wangen legte und seinen Kopf festhielt, dass er sie anschauen musste, und ihn dann wieder losließ. Ein Stroboskop zerschnitt die Bewegungen der Tänzer in einzelne Bilder, dann gingen die farbigen Lampen wieder an, alles leuchtete
plötzlich rot, dann blau und wieder rot. Delphine drehte sich um Andreas’ Hand, fiel aus dem Rhythmus und umarmte ihn ungeschickt, während um sie herum die Paare auf und ab hüpften.
    Die Musik schien leiser geworden zu sein, Andreas hatte das Gefühl, er schwebe, er bewege sich in Zeitlupe. Er hielt sich an Delphine fest und sie sich an ihm, dann nahm er den Rhythmus auf und riss Delphine mit. Die Musik war wieder da, lauter als vorher. Der Discjockey sang etwas, und die Tänzer sangen mit, niemand schien die Worte verstanden zu haben, alle ahmten sie sie nur nach, als stammten sie aus einer fremden Sprache, die nur aus Vokalen bestand, sinnlose Worte, ein dumpfer Rhythmus, ein Stück, das nicht zu Ende ging, das unmerklich in das nächste überging und wieder in das nächste.
    Delphine beugte sich zu Andreas und schrie ihm ins Ohr, sie habe Lust, mit ihm zu schlafen, gleich jetzt.
    »Hier?«, schrie Andreas zurück. Delphine verstand ihn nicht, und er schrie noch einmal, »Hier?«.
    Sie boxte ihn gegen die Schulter und zog ihn von der Tanzfläche.
     
    Andreas machte kein Licht in der Wohnung. Er öffnete alle Fenster. Im Hof brannte eine Lampe, und oranges Licht drang herein und veränderte die Farben aller Gegenstände. Delphine war Andreas ins Schlafzimmer gefolgt, und er fing an, sie auszuziehen. Als sie ganz nackt war, zog er ihr auch den Ring ab, den sie am Finger trug, und die kleinen Ohrringe. Sie lachte und fragte, was das solle. Er antwortete nicht. Während sie
miteinander schliefen, zwang er sie, ihm in die Augen zu schauen. Erst wehrte sie sich dagegen und drehte den Kopf weg, aber dann gab sie nach, und es schien sie zu erregen, wie es Andreas erregte. Ihre Pupillen waren weit geöffnet im wenigen Licht, die Augen wirkten wie aus Glas.
    Andreas und Delphine lagen verschwitzt nebeneinander. Sie hatte eine Hand flach auf seinen Oberschenkel gelegt und streichelte ihn mechanisch. Sie fragte, woran er denke.
    »Ich möchte, dass du gehst«, sagte er.
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    »Jetzt?«
    »Ja«, sagte Andreas. »Nimm es mir nicht übel, aber ich möchte lieber allein sein.«
    Er hatte erwartet, Delphine würde sich wehren. Aber sie stand wortlos auf und ging ins Bad, um zu duschen. Sie kam zurück und suchte im Dunkeln nach ihrem Schmuck und ihren Kleidern. Andreas hatte Lust, noch einmal mit ihr zu schlafen, und einen Moment lang bereute er, sie weggeschickt zu haben. Er stand auf und umarmte sie von hinten. Sie machte sich los.
    »Kannst du verstehen, dass ich mir ausgenutzt vorkomme?«, fragte sie.
    »Ich könnte genauso gut sagen, du hast mich ausgenutzt.«
    Sie lachte spitz, es klang verblüfft, nicht bösartig.
    »Wenn du dich als Opfer fühlen willst«, sagte Andreas, »meinetwegen. Geh einfach.«
    Delphine machte Licht und zog sich wütend an. Sie stopfte ihre Sachen in die Sporttasche.
    Als sie gegangen war, duschte Andreas und zog sich an. Obwohl er viel Wein getrunken hatte, fühlte er sich nüchtern. Er kam sich vor wie ein Agent, der einen geheimen Plan ausführt, den niemand außer ihm kennt. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Er dachte daran, Nadja anzurufen, aber dann tat er es nicht.
     
    Er ging schnell und war etwas außer Atem, als er zwanzig Minuten später vor Nadjas Haus stand. Er klingelte. Es dauerte lange, bis er ihre Stimme durch die Gegensprechanlage hörte. Sie klang müde.
    »Kann ich hinaufkommen?«, fragte er.
    »Bist du verrückt? Es ist ... Weißt du, wie spät es ist?«
    »Halb eins«, sagte Andreas. »Ich wollte mich von dir verabschieden.«
    »Ich habe gemeint, du bist schon in den Ferien.«
    »Ich fahre nicht in die Ferien. Ich ziehe weg aus der Stadt.«
    Im Lautsprecher war ein Knacken zu hören. Das Schloss summte.
    Die Tür zur Wohnung war nur angelehnt. Sie komme gleich, rief Nadja aus dem Bad. Andreas war nicht oft hier gewesen. Er ging in die Küche. Im Spülbecken stand schmutziges Geschirr, auf dem Tisch eine leere Weinflasche und zwei Gläser. Im Kühlschrank fand Andreas eine fast leere Champagnerflasche, in deren Hals ein Silberlöffel steckte. Er suchte ein sauberes Glas. Er
fand keines, und schließlich goss er den Rest des

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