An einem Tag wie diesem
war nicht möglich, sich von irgendetwas oder irgendwem zu verabschieden, dachte er. Der letzte Blick war wie der erste, die Erinnerung nicht mehr als eine von vielen Möglichkeiten.
Er wickelte die Statue in eine der Gardinen, die er gestern von den Fenstern genommen hatte. Dann verließ er die Wohnung, ohne sich noch einmal umzudrehen. Im Briefkasten waren ein paar Prospekte und ein Brief, den er einsteckte, ohne auf den Absender zu achten. Er hätte die Post von seiner Abreise verständigen sollen, dachte er, aber er hatte keine neue Adresse, wusste nicht, wohin er gehen würde. Vermutlich würden die Briefe zurückgeschickt werden mit einem jener kleinen Zettel,
Empfänger unbekannt verzogen
.
Er warf den Schlüssel in den Briefkasten, wie er es mit dem Immobilienhändler ausgemacht hatte. Als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, blieb er einen Moment lang davor stehen, unsicher, in welche Richtung er gehen sollte. Schließlich nahm er den Weg, den er in den letzten Jahren fast jeden Tag genommen hatte. Er ging die Straße hinunter bis zum Boulevard de Clichy. Auf der Bank hob er das gesamte Geld ab, das er besaß. Dann ging er weiter, immer geradeaus bis zum Boulevard de Magenta und von da zur Gare du Nord. Als er am Krankenhaus vorbeikam, ging er etwas schneller, als befürchte er, jemand könne ihn erkennen, ihn anhalten. Hinter dem Bahnhof sprach ihn eine Frau an, die ungefähr in seinem Alter war.
»Verzeihen Sie«, sagte sie, als sich ihre Blicke trafen.
Andreas hob abwehrend die Hand. Obwohl die Frau nicht ärmlich aussah, war er sicher, sie würde ihn um Geld bitten. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimme versagte. Nur sein Mund bewegte sich. Die Frau erwiderte etwas, ebenso tonlos wie er, und sie gingen aneinander vorbei. Vielleicht wollte sie nur wissen, wie spät es ist, dachte er, oder sie wollte mich nach dem Weg fragen. Er drehte sich um. Die Frau war nicht mehr zu sehen.
Er nahm den Zug nach Deuil. Er war später dran als sonst, die Stoßzeit war vorbei, aber der Zug war trotzdem voll, und Andreas blieb mit dem Koffer und der eingewickelten Statue auf der Plattform des Wagens stehen. In Deuil nahm er nicht den Weg zur Schule, sondern ging in die andere Richtung.
Der Gebrauchtwagenhändler hätte Andreas lieber ein anderes Auto verkauft als den alten 2 CV . Er sagte, er habe wesentlich leistungsfähigere Modelle im Angebot zu einem nur geringfügig höheren Preis.
»Das ist ein Liebhaberobjekt«, sagte er, »da bezahlen Sie den Namen. Darf ich Ihnen etwas Sportlicheres zeigen?«
»Ich bin ein Liebhaber«, sagte Andreas. Er sagte, er zahle bar. Er zog ein Bündel Banknoten aus der Tasche und blätterte dem erstaunten Verkäufer den verlangten Betrag hin.
»Kann ich den Wagen gleich mitnehmen?«
Der Verkäufer sagte, erst müsse er die Papiere beschaffen. Das dauere mindestens fünf Tage. Andreas fragte nach einem Hotel in der Nähe. Hier kenne er keine Hotels, sagte der Händler. In Enghien gebe es die Kurhäuser, aber die seien teuer. Wenn er nicht in die Stadt wolle, gebe es an der
Périphérique
jede Menge günstige Hotels.
Andreas nahm ein Taxi und ließ sich zur Porte de la Chapelle fahren. Direkt am Autobahngürtel fand er ein billiges Etap-Hotel und mietete ein Zimmer. Er sagte, er wisse nicht, wie lange er bleiben werde, und bezahlte für eine Nacht.
Es war noch nicht Mittag, und er musste warten, bis das Zimmer fertig war. Er saß in der Lobby. An einer Wand standen Automaten für Getränke und Süßigkeiten und ein Automat, an dem man Stadtpläne, Wörterbücher, Zahnbürsten und Kondome kaufen konnte. Alles, was man braucht, dachte Andreas. Ein paar schwarze Jugendliche standen bei den Automaten herum
und unterhielten sich lautstark. Sie sahen nicht wie Hotelgäste aus.
Andreas beobachtete ein Ehepaar mit einem Jungen, das an der Rezeption stand und mit dem Portier diskutierte. Der Vater war kaum älter als er, aber er sah müde aus und ungesund. Er trug Jeans und einen altmodischen Strickpullover, unter dem sich ein kleiner Bauch abzeichnete. Der Sohn, der so alt war wie Andreas’ Schüler, war fast so groß wie der Vater. Er war dünn und bleich und hatte ein pickliges Gesicht. Die Mutter hatte kurz geschnittenes, blondiertes Haar. Andreas war sicher, dass es Deutsche waren. Der Vater sah verloren aus und unsicher, die Mutter ärgerlich. Der Portier redete ungeduldig auf sie ein.
Andreas ging zur Rezeption und fragte auf Deutsch, ob er helfen könne. Der Mann
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