An einem Tag wie diesem
Boden gestampft worden waren.
Nicht weit von seinem Hotel lag hinter einer hohen Mauer ein Friedhof. Daneben war ein Bestattungsunternehmen, vor dem ein paar Mustergrabsteine ausgestellt waren aus verschiedenfarbigem Marmor. Im Schaufenster hing ein Plakat für eine Sommeraktion, ein Grabmal aus hellgrauem Granit und eine Stele mit einem Motiv nach Wahl zu einem Sonderpreis. Gültig, solange Vorrat reicht.
Andreas betrat den Friedhof. Ein Mann im Trainingsanzug kam aus der Toilette, die gleich neben dem Eingang war, und ging an ihm vorbei hinaus. Andreas musste an einen Witz denken, den er einmal gehört hatte. Es war um den Tod gegangen und um Trainingsanzüge. Er konnte sich nicht an den Zusammenhang erinnern. Ein Flugzeugabsturz? Er ging langsam durch die Gräberreihen. In manchen Gräbern waren ganze Familien beigesetzt. Die Listen der Namen lasen sich
wie Familiengeschichten, die ältesten waren kaum mehr zu entziffern, die neueren glänzten golden. Vor einem besonders hässlichen Grabmal mit dicken Eisenketten und einem Dach, das einem griechischen Tempel nachempfunden war, blieb er stehen. Er las die Namen und Daten. Zwischen den fünfziger und den achtziger Jahren schien niemand in der Familie gestorben zu sein, dann hatte es innerhalb von wenigen Jahren fünf Todesfälle gegeben. Auf dem Grabmal stand ein verblühter Blumenstrauß, also musste es noch Nachfahren geben, Menschen, die sich an die Toten erinnerten. Auf der Platte war Platz für ein oder zwei weitere Namen.
Andreas verließ den Friedhof und ging weiter durch das Viertel. Er war erstaunt, wie sauber und aufgeräumt alles war. Er las die Namen neben den Klingeln, ausländische Namen, er wusste nicht, woher sie stammten. Manche klangen arabisch, andere osteuropäisch oder asiatisch. In den Straßen war kaum jemand unterwegs. Es gab keine Geschäfte, nur ein Gemeinschaftshaus mit öffentlichen Bädern und Duschen. In den Fenstern eines Kinderhorts hingen bunte Zeichnungen, ein Dutzend unheimlicher menschenähnlicher Wesen mit riesigen Köpfen, die alle gleich aussahen.
Gegen Mittag kam Andreas ins Hotel zurück. Er bezahlte das Zimmer für eine weitere Nacht. Er hatte sich ein paar Zeitschriften gekauft und lag den ganzen Nachmittag auf dem Bett und las Artikel über die schönsten Golfplätze der Welt, über plastische Chirurgie und Filmfestivals. In einer Frauenzeitschrift fand er eine Liste mit hundert Tipps für guten Sex. Bemühen
Sie sich, stets anziehend zu wirken, gut gekämmt und geschminkt zu sein. Kleine Geschenke bereiten Freude. Komplimente über den Körper ihres Partners verstärken die gemeinsame Lust.
Irgendwann schlief er ein. Als er aufwachte, war es Nacht. Er war unruhig, er wusste, er würde jetzt nicht mehr schlafen können. Er verließ das Hotel und spazierte durch das Viertel. Nach einer Weile kam er zu den neuen Geschäftshäusern, die er jeden Tag vom Zug aus gesehen hatte. Einige waren eben erst fertiggestellt und noch nicht bezogen worden. Die gläsernen Fassaden glänzten schwarz im Licht der Straßenlaternen. Überall waren Überwachungskameras, aber kein Mensch war zu sehen.
Auf dem Rückweg kam er wieder am Friedhof vorbei, der jetzt geschlossen war. Er fragte sich, wer an sein Grab kommen, wer an ihn denken würde, wenn er tot war. Walter und Bettina vielleicht. Aber sonst? Dann und wann würde jemand die Inschrift auf dem Grabstein lesen und das Alter ausrechnen, mit dem er gestorben war, und denken, der ist auch nicht alt geworden. Und nach zwanzig Jahren würde Walter oder eines seiner Kinder ein Formular unterschreiben, und Andreas’ Grab würde aufgehoben, und nichts würde mehr an ihn erinnern.
Eine Woche lang wohnte Andreas im Hotel. Jeden Morgen nach dem Frühstück bezahlte er das Zimmer für eine weitere Nacht und ging dann gleich wieder hinauf. Wenn das Zimmermädchen kam, wartete er im Flur, bis sie fertig war. Er schlief viel und versuchte zu
lesen und lag ganze Nachmittage bewegungslos auf dem Bett und dachte nach, ohne sich auf etwas konzentrieren zu können. Manchmal fühlte er sich so schwach, dass er es kaum schaffte, aufzustehen und sich anzuziehen, dann wieder ging er ruhelos durch das Viertel, als könne er so seiner Krankheit entkommen. Ein paar Mal dachte er daran, die Arztpraxis anzurufen, weil er die Ungewissheit nicht mehr ertrug, aber dann verschob er den Anruf so lange, bis die Sprechstunde vorbei war.
Am Tag, an dem er das Auto abholen konnte, fühlte er sich besser. Er stand
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