Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
Vom Netzwerk:
gekrümmt auf ihren Gehwagen stützt, lacht ihn aus und wartet, bis sich ihr fetter und mindestens ebenso alter Beagle zum Weitergehen entschließen kann. Die beiden, denkt Marta, machen nicht den Eindruck, als hätten sie noch Geheimnisse voreinander.

    Etwa drei Stunden, bis Paul von der Arbeit kommt. Sie hat nicht ganz verstanden, um welche Art Shooting es sich handelt, nur dass er mit Models in Schottenröcken in einer Bibliothek arbeitet. Marta überlegt, wie sie die Zeit überbrücken soll. Die Hand beginnt erneut zu schmerzen, sie würde sich gerne irgendwo setzen, am liebsten mit Blick auf etwas, das rein gar nichts mit ihr zu tun hat. Paul spottete früher öfter über ihre Marotte, sich in die Geschichten anderer Menschen einzuloggen, aus Momentaufnahmen ganze Romane zu konstruieren. »Man kann sich in der Beobachtung fremder Leute gut verstecken«, versuchte Marta ihm zu erklären, und Paul verstand, was sie meinte.
    Manchmal spielen sie das unterwegs: Paul beobachtet einen Mitreisenden, registriert selbst kleinste Details, und Marta strickt daraus eine passende Biographie.

    Sie würde jetzt gerne mit Paul im Zug sitzen, weit wegfahren und nicht entscheiden müssen, was mit dem Zettel zu geschehen hat, den sie in ihrer Jackentasche fühlt. Bald, denkt sie, bald sind wir weg, für ein paar Tage nur, aber das ließ sich unterwegs ausblenden. Einfach fort sein würde fürs Erste genügen.
    Und jetzt? Ins Kino oder Museum kann Marta mit dem Hund nicht gehen, ihn draußen anzubinden wäre Quälerei. Yannis verlässt sich darauf, dass sie ihn gut behandelt, dabei soll es bleiben. Er ist zufrieden, solange er in der Nähe seiner Leute sein kann, zu denen er sie, Marta, freundlicherweise zählt, und zeigt sich vorbehaltlos begeistert, sobald sie Anstalten macht, seine Leine zu holen. Sie nimmt ihn gerne mit, wenn sie ohne Ziel in der Stadt herumläuft; seine schwarze Übergröße flößt den meisten Menschen so viel Respekt ein, dass sie einen Bogen um sie beide machen.
    Sie erreichen den Märchenbrunnen. Yannis springt mit Anlauf in das flache Wasserbecken, was eine nicht mehr junge Frau, die in ihre Zeitschrift vertieft auf dem Rand gesessen hat, mit einem Aufschrei hochfahren lässt. Über vierzig Kilo Tier verdrängen eine Menge Wasser, denkt Marta. Ein kleines Kind klatscht unweit von ihr begeistert in die Hände, »Wauwau!«, und rennt los. Kurz bevor es über den Brunnenrand kippt, den es zu erklimmen versucht, während Yannis ihm dabei die kleinen Hände leckt, packt die Frau das Kind und zieht es an sich.
    »Können Sie den Hund nicht anleinen?«
    »Der ist harmlos.«
    »Das sagen alle, und dann wird man gebissen! Sie könnten das Tier gar nicht bändigen mit Ihrem verletzten Arm!«
    »Regen Sie sich wieder ab.«
    Die Frau, die jetzt das Kind an der Hand mit sich zerrt und etwas durch ihre zusammengepressten Lippen zischt, das wie
»Auch noch unverschämt!« klingt, sieht aus, als hätte ihr schon lange keiner mehr gesagt, dass sie schön ist. Darüber verwelkt sie langsam, denkt Marta, zahlt ihrer Kosmetikerin viel Geld, damit die ihr gibt, was man in ihren Kreisen ein gepflegtes Aussehen nennt. Sie kann sich das leisten, vielleicht, weil sie während des Studiums irgendeines geisteswissenschaftlichen Fachs den Juniorchef mit Sportwagen kennen lernte. Der hat ihr den Brillantring geschenkt, froh, seinem Vater eine ebenso geistreiche wie repräsentative Gattin vorzeigen zu können, die in der Lage ist, mit Geschäftspartnern über zeitgenössische Literatur oder Ähnliches zu plaudern. Jetzt hat sie eine Eigentumswohnung mit Parkblick, das Wochenendhaus in der Uckermark und vermutlich auch ein Kindermädchen, das Französisch spricht. Der Mann ist selten zuhause, versäumt aber nie, geschmackvolle Geschenke für sie und das Kind mitzubringen. Da darf sie sich nicht beklagen, tut nicht nur samstags ihre eheliche Pflicht, gestaltet das familiäre Nest dank der abonnierten Living Home stilvoll und gediegen.
    Das Kind, das noch immer versucht, sich von ihrer Hand loszureißen, und »Wauwau, will zum Wauwau!« ruft, ist eindeutig ein Mädchen. Die Gute hat wohl doch nicht alle Erwartungen, die in sie gesetzt waren, erfüllt. Daher der leicht verbitterte Zug um die Mundwinkel. Könnte sein. In zehn Jahren wird das Kind sie hassen, da würde Marta jede Wette eingehen.

    »Was passiert, wenn ich jetzt Sophias Nummer wähle?«
    Yannis schaut an ihr hoch, wedelt mit der Rute.
    »Das weißt du auch nicht, Dicker,

Weitere Kostenlose Bücher