An Paris hat niemand gedacht
Marta hielt es mit beiden Händen, drückte es in ihr Gesicht, es duftete nach Waschpulver und Pfeifentabak.
Dass es auch solche Momente gegeben hat, war ihr entfallen.
Ich werde im Leben keinen Vater mehr bekommen.
Marta erschrickt. Da kann kein Rest Hoffnung versteckt gewesen sein. Woraus hätte er sich nähren sollen?
Jetzt ist ihre Geschichte mit Richard abgeschlossen, nichts kann hinzugefügt werden.
Paul spielt mit ihren Zehen, lässt Sand über ihre Füße rieseln.
»Wie hört sich nun für dich das Meer im Dunkeln an?«
»Als hätte jemand die Bässe aufgedreht und Brei in die Wellen geschüttet.«
»Mir ist es lieber, wenn man etwas sieht.«
Der Hund kommt angerannt, schüttelt sich direkt vor ihnen ausgiebig und lässt einen nassen salzigen Schwall über sie regnen. Paul springt fluchend auf, wirft eine der herumliegenden Plastikflaschen nach Yannis und schaut besorgt auf Marta, die sich hysterisch lachend im Sand windet. »Kann ich was für dich tun?«
Als er ihr die Hand hinstreckt, ergreift sie sie, lässt sich in seine Arme ziehen und sagt:
»Eine Tochter zu sein, das habe ich endgültig versäumt.«
Er schweigt einige Atemzüge lang, bevor er ihr ins Haar flüstert:
»Das mit der Endgültigkeit ist so eine Sache.«
Seine Haut schmeckt salzig.
Dass Paul jetzt einfach still ist, sie nichts weiter fragt, auch nicht auf die Tatsache hinweist, dass Greta noch lebt, das, denkt Marta, vergesse ich ihm nie.
Greta existiert. Sie spricht, isst, schläft, wacht wieder auf, geht ans Telefon, erfährt vielleicht gerade in diesem Augenblick von einem Todesfall.
Yannis stürzt sich plötzlich bellend ins Dunkel, der hell kreischende
Ton eines kleinen Tieres lässt sie beide gleichzeitig laut den Hund bei Fuß rufen. Die Schreie hallen von den Felswänden wider, scheuchen die Nacht auf und hinterlassen das merkwürdige Gefühl, das Dunkel mit ihrer Anwesenheit zu stören.
Nur ein Totenschein wird benötigt; sie hat ihn überlebt.
»Lass uns zurückgehen.«
Weil der Mond auch ein Kind des Gottes ist, heißt er Niamye-ba, aber niemand weiß, wer seine Mutter war. Man vermutet, der Sumpf.
Wenn der Wind den Mond mit Schmutz bewirft, kann man nur einen Teil von ihm sehen, und dann muss er so lange baden, bis er wieder sauber ist. Es gibt Leute, die behaupten, es gebe viele Monde; man würde aber stets nur einen von ihnen sehen, weil Niamye sie nach ihren Reisen immer erst eine Weile ausruhen lasse. Wie das nun wirklich ist, weiß keiner, denn niemandem ist es gelungen, den Weg der Mondreise zu finden.
Als Marta zwei Stunden später ihr Telefon auf dem Nachttisch ablegt, zeigt es den Eingang einer weiteren Nachricht an. Die Nummer ist unbekannt.
Sie hat nicht »Mutter« geschrieben und die unpersönlichste Möglichkeit der Kontaktaufnahme gewählt, die Marta sich vorstellen kann.
Immerhin.
LIEBE MARTA, ICH WERDE RESPEKTIEREN, WENN DU WEITERHIN NICHTS MIT MIR ZU TUN HABEN WILLST. DENNOCH: ER IST TOT. SOLLTEN WIR IHN NICHT ZUSAMMEN BEERDIGEN? GRETA
III
Eine Mutter
Sie durchquert eiligen Schrittes das Terminal, zieht einen ledernen Rollkoffer hinter sich her, dessen Räder geräuschlos über den Steinboden gleiten. Das energische Klacken ihrer Absätze ist weithin zu hören. Hin und wieder schaut ihr jemand nach, was sie nicht zu bemerken scheint. Das fein geschnittene Gesicht steht in seltsamem Kontrast zu der Strenge des dunkelgrauen Hosenanzugs, der maßgeschneidert ihre schlanke Gestalt umspielt, und weist erst bei näherer Betrachtung Falten um Augen und Mund auf, die sie als jenseits der fünfzig erkennen lassen. Die tiefrot geschminkten Lippen könnten ebenso einer weitaus jüngeren Person gehören. Ihr schwarz gefärbtes Haar hat sie streng nach hinten gekämmt und im Nacken zu einer faustgroßen Kugel geformt, die mit einem Haarnetz zusammengehalten wird. Lässig über den Arm gehängt trägt sie einen ledernen Trenchcoat, das silbern glänzende Telefon scheint samt Hand am Ohr festgewachsen. »Guten Morgen!«, ruft ihr ein Mann vom Counter-Personal zu. Sie antwortet mit der Andeutung eines Nickens. Vor einem Schaufenster, in dem sich ein pink eingefärbter Nerz dreht, bleibt sie kurz stehen, schaut eine Umdrehung lang zu, schüttelt den Kopf und setzt ihren Weg fort.
Ihre Schritte verlangsamen sich vor einer Cafébar, wo die Bedienung unaufgefordert eine große Porzellantasse vor sie hinstellt: extrastark, schwarz, ohne Zucker. Sie lässt ihr Telefon in die Tasche gleiten, schiebt
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