An Paris hat niemand gedacht
deinem Krokodil, dass es aufhören soll, sonst verpfeife ich es beim Zollamt.«
Die Stimme des Mannes klingt so entspannt, dass Greta nicht umhinkann, sich im Vorbeigehen noch einmal nach ihm umzuschauen. Sie kann nicht erkennen, dass eine Frau den Mann und die Kinder begleitet. Das Mädchen auf der Schulter hat die Arme um den Kopf des Vaters geschlungen, hält ihm lachend die Augen zu.
»Aufhören! Rasselpack! Ich gebe euch alle drei als Gepäck auf, dann habe ich an Bord meine Ruhe!« Die Kinder lachen. »Au ja, dann musst du nachher warten, bis wir auf dem Band vorbeigefahren kommen!« – »Na und? Dann esse ich im Flieger alle Nüsse alleine auf!« – »Nein, Papa! Das ist gemein!« – »Papa, ich hab Hunger!« – »Ich auch!« – »Ich hab auch Hunger!«
Greta hält an, zieht eine Packung Studentenfutter aus der Außentasche ihres Rollkoffers, hält sie dem größeren der Kinder entgegen. »Wollt ihr?« Der Mann befreit seine Augen von
den zwei Kinderhänden und grinst Greta an. »Danke! Sie retten uns!«
Als Greta den Ausgang erreicht, hört sie hinter sich die Kinder um die Tüte streiten.
»Drei Töchter, das muss wunderbar sein«, hatte ihre kinderlose Sekretärin einmal geschwärmt, als sie die Personaldaten in das neue Computersystem eingab. Greta hatte daraufhin gebeten, sie mit Gesprächen über ihr Privatleben zu verschonen. Die Sekretärin verstummte irritiert, und Greta bat sie um Entschuldigung. Sie habe eine ihrer Töchter verloren und spräche nicht gerne darüber, nichts für ungut. »Ich verstehe«, war die Antwort, »tut mir leid für Sie.«
Nichts verstand sie, aber Greta brachte es nicht über sich, die Sache näher zu erläutern. Kurz darauf begannen in der Firma Gerüchte die Runde zu machen, eine von Greta Wördehoffs Töchtern sei einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. So kann man es auch nennen, dachte Greta und beließ es dabei, auch wenn ihr die vorsichtig-mitleidigen Blicke, die sie jetzt mitunter im Büro trafen, zuwider waren.
Meine drei Mädchen.
Wie lange hat sie diesen Satz nicht mehr gedacht? Hat sie das überhaupt jemals so formuliert? Es klingt irgendwie anmaßend.
Hinter der Drehtür hat sich eine Gruppe Raucher um den Aschenbecher versammelt. Greta stellt sich etwas abseits, inhaliert gierig den Rauch und hält ihr Gesicht in die Sonne.
»Entschuldigung. Hätten Sie vielleicht eine für mich?«
Das Mädchen mit dem Rucksack ist dicht vor ihr stehen geblieben.
»Bist du nicht zu jung zum Rauchen?«
»Mein erster Flug«, murmelt sie entschuldigend, »ich höre morgen wieder auf«, und nimmt sich dankend eine Zigarette aus der Packung. Greta reicht ihr das Feuerzeug.
»Das mit der Angst wird besser, wenn du öfter fliegst.«
»Meinen Sie? Kann ich mir nicht vorstellen.«
»Vertief dich beim Start einfach in den erstbesten Artikel aus einem dieser Frauenmagazine, über Kochrezepte oder den neuen Lover von Kate Moss oder sonst wem. Mache ich auch immer.«
Greta fällt ein Satz ein, den Sophia jetzt vermutlich sagen würde: »Vorsicht! Du zeigst weiche Stellen, Mama.«
Vielleicht wären ein paar weiche Stellen nicht falsch?
Sie steckt sich an der glühenden Kippe die nächste Zigarette an. Eine geht noch. Dass Marta mindestens so viel rauche wie sie, hatte Katharina einmal erzählt, widerlich sei das. Greta hatte sich über diese Information gefreut, obwohl sie doch eigentlich hätte besorgt sein müssen. Wenigstens etwas hatten sie also gemeinsam.
Als sich Greta zum Gehen wendet, reicht sie dem Mädchen zwei weitere Zigaretten. »Hier, vielleicht kannst du sie noch brauchen. Alles Gute!«
Wieder im Terminal bekommt sie gerade noch die letzten Fetzen der Durchsage mit.
»Letzter Aufruf für Passagier Greta Wördehoff. Sie werden dringend gebeten, sich unverzüglich an Gate 23 einzufinden. Passagier Wördehoff!«
Die Stewardess reicht ihr die Zeitung. »Guten Morgen! Sie sind ja ganz außer Atem.« Greta nickt und lässt sich in den Sitz sinken, während sie die Hand an die schmerzende Brust drückt. »Ich
habe die Zeit vergessen. Werde allmählich zu alt für Flughafensprints.«
»Schwarzer Kaffee wie üblich, oder sollte es heute ausnahmsweise doch mal der Champagner sein?«
Sie merkt, dass ich nicht in Bestform bin, denkt Greta und lehnt dankend ab.
Um ein Haar hätte sie wegen der Jagd nach einem Phantom plus einer Zigarette zu viel ihren Flug verpasst und ihren Tagesplan unnötig durcheinandergebracht. So etwas durfte nicht
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