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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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denn unbedingt München sein müsse, so weit weg. Und warum es nicht möglich gewesen war, die Mutter vorher in ihre Pläne einzuweihen. Sophia hatte ihr die Hand an die Wange gelegt und geflüstert: »Keine Angst, ich bin nicht Marta, ich bleibe deine Tochter. Ich muss nur ganz dringend hier raus; je weiter weg, desto besser. Dass ich dir nichts davon erzählt habe, war zu deinem und zu meinem Schutz.«
    Greta hatte still zu weinen begonnen, und Sophia machte sich sanft von ihr los.

    »Mama, du solltest auch fort von hier.«
    Greta war stumm wieder zum Haus gegangen.
    »Denk darüber nach! Ich ruf dich an!«, hatte Sophia ihr noch zugerufen, bevor sie in das wartende Auto irgendeines Freundes gestiegen war.
    Heute ist das genau vier Jahre her, dachte Greta an diesem Freitagmorgen und ließ den Staubsauger auf den Boden fallen.

    Als Richard dann abends von der Baustelle gekommen war, hatte Greta bereits das Nötigste zusammengepackt und ins lange ungenutzte Gästezimmer im Keller geräumt, das über einen separaten Eingang verfügte. Die Feuerschutztür, die den unteren Teil vom Rest des Hauses trennte, hatte sie von innen abgeschlossen. Richard war laut nach ihr rufend durch die oberen Räume getobt, hatte dann an die Kellertür gehämmert, Flüche und Drohungen gebrüllt, bis er mit einem resignierten »Leck mich doch am Arsch!« davongeschlurft war, um sich volllaufen zu lassen. Sie hatte die Nacht zum Samstag damit verbracht, zitternd auf dem Bettrand zu sitzen und sich davor zu fürchten, dass er versuchen würde, die Tür einzuschlagen. Aber er war nicht gekommen. Sie hatte ihn noch eine Weile im Haus hantieren hören, Glas splitterte, ein dumpfes Poltern, dann Stille. Am Samstagnachmittag hatte er einen Zettel durchgeschoben, auf dem stand: »Wohnst du jetzt da unten?« Sie war nicht gewillt, die Frage zu beantworten, bis abends eine weiterer Zettel hinzukam: »Bin weg. Du kannst mich mal! Stell die Flaschen raus.«
    Sie hatte noch zehn Minuten lang aufmerksam in die Ruhe des verlassenen Hauses gelauscht, nachdem sein Auto vom Hof gefahren war, dann Wein- und Bierkisten nebst sämtlichen Schnaps- und Whiskeyvorräten vom Keller ins Treppenhaus geräumt. Den Rest des Wochenendes hatte sie damit verbracht
abzuwarten, was er tun würde. Gelegentlich klirrten Flaschen, wenn er sich Nachschub holte, ansonsten schien er die Tatsache zu ignorieren, dass seine Frau nicht mehr zur Verfügung stand.
    Am Montagmorgen vergewisserte sie sich, dass Richard fort war, betrat die Küche und hinterließ die Nachricht, sie werde vorerst im Keller bleiben. Dann sah sie die Zeitung neben Richards überquellendem Aschenbecher auf dem Tisch liegen. Klebrige Flecken verunzierten die karierte Tischdecke, angebissene Brotstücke lagen neben Pizzaresten und leeren Zigarettenpackungen, ein Stuhl war umgekippt.
    Greta schlug die Zeitung bei den Stellenanzeigen auf, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben. Eine ihr unbekannte Firma suchte flexible Vollzeitkräfte im Lager-, Reinigungs- und Service-Bereich für den neu eröffneten »Travel-Shop« im Terminal 2 am Flughafen, Sprachkenntnisse willkommen. Greta hatte keine Vorstellung, von welcher Art Tätigkeit genau die Rede war, riss dennoch die Seite heraus, nahm sich das Geld aus der Blechdose über dem Kamin und machte sich auf den Weg. Im Flur knirschten Scherben unter ihren Schuhsohlen, der widerliche Geruch von Erbrochenem wehte sie an, aber das hatte nichts mehr mit ihr zu tun.
    Bis heute kann sie sich selbst nicht erklären, was genau sie getrieben hat, direkt zum Flughafen zu fahren und sich dort zum Personalbüro der Firma Seebacher durchzufragen. Und tatsächlich gelang es ihr, in die Chefetage vorzudringen. Das verblüffte Gesicht der Sekretärin, als Greta ihr erklärte, sie sei wegen der Anzeige hier, wandelte sich bald in den Hauch eines Lächelns, von dem Greta nicht sagen konnte, ob es ironisch, belustigt oder mitleidig war. Sie bekam einen Personalbogen ausgehändigt. »Füllen Sie den aus und geben Sie ihn dann bei mir ab. Mal sehen, was sich machen lässt.«

    Greta nahm das Papier an sich, verließ den Raum und nahm auf einem der Stahlrohrstühle im Flur Platz. Sie trug zügig Namen, Alter, Wohn- und Geburtsort in die entsprechenden Felder ein, bis sie bei »Referenzen« ankam. Da hatte jemand viel Platz im Formular vorgesehen, zudem einen klein gedruckten Hinweis angefügt, man könne die Rückseite des Blatts bei Bedarf zum Weiterschreiben nutzen, möge bitte im

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