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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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hinaus, hastete zur Telefonzelle an der Ecke und rief in der Pension an, die sie am Vortag in Bahnhofsnähe bemerkt hatte. In dem kleinen Zimmer, das von einer Leuchtreklame abwechselnd in gelbes und rotes Licht getaucht wurde, roch es nach billiger Seife, und Greta konnte sich nicht
erinnern, wann sie sich zum letzten Mal in einem Raum so wohl gefühlt hatte. Sie lag auf dem Bett, sah fern, rauchte eine nach der anderen, während sie eine Büchse Cola in winzigen Schlucken trank.
    Im Pfandleihhaus versetzte sie am nächsten Morgen ihren afrikanischen Schmuck und machte sich daran, die erste kleine Wohnung auf der Liste anzusehen: Zwei Zimmer, Kochnische, Klo auf halber Treppe, das sollte genügen.
    Nachmittags bekam sie Katharina ans Telefon. Bei der Information, dass ihre Mutter ausgezogen war und eine bescheidene Wohnung in Aussicht hatte, in der sie jedoch beide Platz finden würden, brach sie in Tränen aus. Greta ließ sie eine Weile schluchzen, bot ihr an, sie abzuholen, und war erleichtert, als Katharina darauf bestand, das Trainingslager zu Ende zu machen. Nach ihrer Rückkehr würde sie selbst entscheiden, bei wem sie wohnen wolle, ob das in Ordnung sei? »Natürlich«, sagte Greta und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
    Am folgenden Montag nahm Greta den Zug zum Flughafen, stellte sich wie vereinbart im Travel-Shop bei Frau Krämer, der zuständigen Supervisorin, als neue Mitarbeiterin vor und ließ sich der Textilabteilung zuweisen. Mit weißem Kunststoff überzogene Kleiderbügel mussten gereinigt werden, kistenweise. Greta verbrachte ihren gesamten ersten wie den zweiten und dritten Arbeitstag mit Seifenlauge, Schwamm und Hunderten von Kleiderbügeln. Es machte ihr nichts aus. Sie blieb gerne länger als vorgeschrieben, schlenderte nach der Arbeit noch im Terminal herum, erwarb einen kleinen Terminkalender, in den sie ihre Dienstzeiten eintrug, und hütete ihn wie ein Kleinod.
    So hatte es angefangen, und alles Weitere entwickelte sich beinahe wie von selbst.

    Die Vorgesetzten erkannten bald ihre Begabung im Umgang mit den Kunden und beorderten sie zum Dienst im Verkauf. Irgendwann war sie dabei Ernest Calva senior aufgefallen, der sich fortan zu ihrem Förderer erklärt und von der Firmenleitung ihre Mitarbeit bei seinem neuen Projekt am Flughafen eingefordert hatte. Es folgte das, was Sophia liebevoll spottend »Mutters platonische Geschäftsliebe« oder auch »Mamas Tellerwäscherkarriere« nannte. Nichts von dem konnte annähernd beschreiben, was tatsächlich mit ihr passierte.
    Greta spricht noch heute von ihrem »an Wahnsinn grenzenden Sprung in die Wogen des Modebusiness, ohne Rettungsring und mit unzureichenden Schwimmkenntnissen«.
    Sie war nicht untergegangen, sondern in Rekordzeit an Land geschwommen, hatte sich selbst und allen anderen bewiesen, dass sie erfolgreich sein konnte: das Gegenteil von einem wehrlosen Nichts.
    Als Ernest Calva dann mit dem Angebot an sie herangetreten war, die neu gegründeten Calva-Airport-Läden zu gestalten und zu leiten, hatte sie zugegriffen. Calvas Vertrauen in ihre Fähigkeiten wurde nicht enttäuscht. Mit jedem neuen Tag in diesem Job war der Boden unter ihren Füßen tragfähiger geworden, bis sie sich schließlich in der Lage gefühlt hatte, aufrecht zu gehen. Ja, dachte sie, ich habe den aufrechten Gang gelernt, und es war gar nicht so schwer. Eine Person, die unter Trümmerhaufen begraben war, trat auf die Bühne und stellte fortan eine Geschäftsfrau namens Greta Wördehoff dar, von der niemand, der sie früher gekannt hatte, denken würde, dass sie mit der alten Greta identisch war.

    »Achtung, Sicherheitshinweis: Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt!«

    Die scheppernde Stimme aus dem Lautsprecher lässt einige ältere Herrschaften einer Reisegruppe eilig nach ihren Koffern und Taschen greifen.
    Greta schaut auf die Uhr und beschleunigt ihre Schritte. Wenn sie sich beeilt, kann sie vor dem Abflug noch eine Zigarette schaffen.
    Vor ihr trägt ein Mann ein kleines Mädchen mit einem lustigen bunten Hut auf der Schulter. Zwei weitere Kinder, deren Geschlecht Greta nicht sicher bestimmen kann, hocken auf dem Gepäckwagen, den der Mann mit einer Hand vor sich herschiebt, während er das Mädchen auf seiner Schulter mit der anderen zu halten versucht. Ein fröhliches Gekicher umweht die Gruppe, obwohl eines der Kinder sich daranmacht, das andere mit einem großen Plüschkrokodil auf den Kopf zu schlagen.
    »Tim, sag

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