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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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dem Überfall in Winnerod hatten Raphaela und Marta eine Mauer gegen den Feind aufgebaut, zu dem sie, Greta, gehörte. Sie war einer von den Menschen geworden, vor denen Marta geschützt werden musste. Und die Buchheim hatte diese selbst gestellte Aufgabe bestens erfüllt.

    Und doch: Auch sie, diese zweifellos selbstbewusste und besondere Frau, hatte in Marta nur eine Tochter auf Zeit gehabt.

    Unter ihr heulen die Triebwerke auf.
    Eine der Stewardessen beginnt die Sicherheitshinweise mit idiotisch anmutenden Bewegungen vorzuführen, demonstriert strahlend das Anlegen der Schwimmwesten und hält sich die gelbe Atemmaske vors Gesicht. »Stellen Sie erst Ihre eigene Sauerstoffversorgung sicher, indem Sie die Maske über Mund und Nase ziehen, bevor Sie mitreisenden Kindern helfen,« schallt die Stimme der Pursette gutgelaunt durchs Flugzeug.

    »Wieder keinen Sohn zur Welt gebracht«, war Richards Kommentar gewesen nach Martas Geburt, »nicht einmal dazu bist du in der Lage.« Der ersehnte Stammhalter war auch beim zweiten Wurf ausgeblieben. Richard hatte enttäuscht das Krankenzimmer verlassen, und Greta war mit dem winzigen Bündel in ihren Armen zurückgeblieben, an das sie ihre Wange schmiegte. Marta begann augenblicklich lauthals zu schreien, bis Greta sie wieder in das kleine rollende Bettchen legte, das die Kinderschwester in Kürze abholen würde.
    Ein seltsames Kind war sie, von Anfang an. So klein, dunkel und fremd. Ganz anders als Sophia, von der jeder sagte, sie sei Greta wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatte das stets als Kompliment empfunden. Sah sie doch selbst, welche Blicke Sophia bereits als kleines Mädchen auf sich zog. Nachdem die Familie nach Bouaké gezogen war, hatten sich die beiden so unterschiedlichen Kinder zu einer merkwürdigen Allianz verbündet, die Greta nicht zu durchschauen vermochte. Mitunter hatte ihr das Angst gemacht.
    Eines Abends, als sie noch eine Runde ums Haus drehte, konnte
sie die beiden durch das mit einem Fliegengitter gesicherte Fenster des Kinderzimmers hören. Marta sang. Greta blieb angerührt stehen, hörte der hellen Mädchenstimme zu, die sanft eine Melodie formte, bis sie anfing, auf den Text zu achten. Ein schreckliches Lied! Greta rannte in den Garten, die Hunde schlugen an, und Richard brüllte dem Nachtwächter zu, er solle das Gewehr holen. Der Boy fand Greta dann aufgelöst unter dem Affenbrotbaum. »Sie sollten ins Haus kommen, Madame«, sagte er und reichte ihr seinen Arm. Richard nahm sie mit einer schallenden Ohrfeige in Empfang, nannte sie eine hysterische Ziege, schrie, sie solle doch gleich in den Urwald rennen und sich von den Pavianen zerreißen lassen, wie die Kollegin, die im vergangenen Jahr im offenen Jeep auf Safari gegangen war. Lediglich ein paar Fetzen seien von der übrig geblieben. Wenn sie schon in der Dunkelheit herumlaufen müsse, solle sie vorher Bescheid geben. Beinahe hätte er auf sie geschossen. Wie hätte er das dann der Polizei erklären sollen? Greta dachte »Paviane?«, schwieg und wartete, bis der Durst ihn zu einer Pause zwang. Sie war dankbar, als der Whiskey Richard für diesen Abend fertiggemacht hatte, bevor er sich weiter mit ihr beschäftigen konnte.
    Noch einige Male stand sie heimlich vor dem Fenster der Mädchen, quälte sich bis zum Ende der Geschichte, hörte zu, wie sie im Gesang ihrer Tochter von einem Laster überfahren wurde, wie ein Steinschlag sie in Stücke riss, wie sie qualvoll am Biss einer Kobra starb. Jedes Mal war es Marta, die sang, und stets ließ sie die Mutter gemeinsam mit dem Vater sterben, gab ihr nicht die kleinste Überlebenschance. Sie wurde mit ihm aus dem Weg geräumt, um bei den folgenden Abenteuern nicht zu stören. Lästiger Ballast, des Todes würdig, jeden Abend aufs Neue. Sie lehnte mit dem Rücken an der Hauswand, lauschte mit angehaltenem Atem auf Martas Lied und hegte die Hoffnung, das Kind möge
sie nur ein einziges Mal verschonen, sie mitgehen lassen auf die Reise. Oder wenigstens, dass Sophia einschreiten und das Weiterleben der Mutter einfordern würde. Nichts dergleichen geschah.
    Irgendwann ertrug es Greta nicht mehr. Sie mied fortan abends den Teil des Hauses, in dem die Kinder ihr Zimmer hatten, schaute nicht mehr nach, ob sie gut eingeschlafen waren.
    Wie froh sie war, als Sophia dann bei ihrer aller Rückkehr nach Deutschland doch noch ein eigenes Zimmer für sich allein wünschte. Heute Abend werden sie mich nicht sterben lassen, dachte Greta und strich ihrer

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