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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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wegen eines Mitarbeiterproblems eingeplant hat, verzichten, was unklug sein könnte, falls die Situation weiter eskaliert ist.
    »Meine Damen und Herren, wir werden in Kürze mit dem Landeanflug auf München beginnen … Das Wetter in München ist mit 28 Grad sommerlich warm, es weht ein leichter Westwind.«
    Die Stewardess geht mit prüfendem Blick durch die Reihen der Passagiere, ermahnt den Mann neben Greta streng, seinen Computer auszuschalten und den Tisch hochzuklappen.
    Am gefährlichsten sind Start und Landung, denkt Greta und beginnt ihre Atemübung.

    Im Ankunftsbereich herrscht Hochbetrieb, wie immer um diese Uhrzeit. Geschäftsleute in dunklen Anzügen eilen an ihr vorüber, Reisende drängeln sich um die besten Plätze an den Gepäckbändern, eine indisch aussehende Großfamilie setzt seidene Farbakzente in das Getümmel aus Menschen und Koffern. Stärkere Kontraste, denkt Greta, ob die Kreativen bei Calva wenigstens für die Zwischenkollektion ihre Anregungen aufgegriffen haben? Der türkisfarbene Sari einer der Inderinnen sticht gegen das Hellrot ihrer Gefährtin ab und zieht nicht nur Gretas
Aufmerksamkeit auf sich; man wird gezwungen, die Frauen anzusehen, denkt sie. »Wenn für den eigenen Stil die Persönlichkeit zählt, reicht es völlig, als die wahrgenommen zu werden, die man ist«, hatte sie bei der Ladeneröffnung des zweiten Calva-Airport-Shops, für den sie bereits als Managerin fungierte, feierlich ins Publikum gesprochen und sich dabei wieder einmal als Blenderin gefühlt. »Der große Bluff«, war der sie täglich begleitende Gedanke, »ist mein Talent.«
    Ein einziges Mal nur hatte sie dies einem Menschen gegenüber geäußert. Am Ende einer rotweinselig verplauderten Nacht auf der Veranda von Ernest Calvas Sommerhaus in der Nähe von Nizza hatte Greta ihm von ihrer Angst erzählt, dass ebendieser Bluff irgendwann zusammenfallen werde wie eines ihrer niemals gelingenden Grand-Marnier-Soufflés. Der alte Calva hatte laut gelacht, war dann, als er Gretas Verunsicherung bemerkte, sofort wieder ernst geworden: »Greta, meine Liebe, Sie werden mir doch nicht an sich selbst und Ihren herausragenden Qualitäten zweifeln? Ich verbiete Ihnen das ausdrücklich! Die ganze Branche ist ein großer Bluff. Wenn Sie darin eine Meisterin sind, umso besser! Das ist doch das Wunderbare an unserem Beruf. Das Geschäft wird gemacht von Blendern für solche, die geblendet werden wollen. Wie schön! Alle Beteiligten wissen das. Wir produzieren Illusionen, verkaufen Träume, gaukeln den Menschen etwas vor. Das wird von uns erwartet. Wir kleiden, verkleiden, verwandeln, kaschieren. Wir bieten den Menschen in jeder Saison neue Traumrollen an, in die sie schlüpfen können, um sich selbst neu zu erfinden. Und genau dafür werden wir geliebt!«
    Er hatte sich in Begeisterung geredet, seine Hände flogen durch die Luft, zeichneten Linien und Kurven in die Nacht, blieben schließlich am Rotweinglas hängen, mit dem er Greta strahlend
zuprostete. Sie stieß mit ihm »auf die Mode!« an und nahm sich vor, ihre Selbstzweifel fortan für sich zu behalten.

    Die Inderin hebt einen schlichten Lederkoffer vom Gepäckband, wirft dabei einen Teil ihres Saris anmutig über die Schulter. Greta zieht ihren Notizblock aus der Tasche, schreibt »Türkis mit Hellrot« und zeichnet rasch ein in zwei Farbfelder unterteiltes Kleid mit unterschiedlichen Schraffuren. Ich werde ihnen wie üblich auf die Nerven gehen mit meinen Ideen, denkt sie, aber die Zahlen sprechen für mich, und Calva wird es mögen.
    Als Greta beim Verlassen des Terminals ihr Telefon einschaltet, sind mehrere Anrufe eingegangen. Die Shopleiterin in Zürich bittet um Rückruf, ihre Sekretärin fragt wegen eines Termins nächste Woche an, eine unbekannte Nummer von jemandem, der keine Nachricht hinterlassen hat, wird angezeigt und zweimal Katharinas Stimme auf der Mailbox, die sich später noch einmal melden will. Wahrscheinlich hat sie mal wieder Ärger mit der Stationsschwester und glaubt, ihrer Mutter den Vorfall in allen Einzelheiten erzählen zu müssen. Greta hat bereits mehrfach gebeten, solche Anrufe am späten Abend zu tätigen, da sie tagsüber selten Zeit für ein längeres Gespräch findet. Die Kleine scheint das nicht in ihren Kopf zu kriegen, glaubt womöglich, Greta könne ihre Zeit einteilen, wie es ihr beliebt. Vielleicht sollte sie dankbar sein, dass ihr wenigstens die Jüngste Anteil an ihrem Leben gibt. Wenn sie es recht bedachte, war sie wohl

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