An und für dich
gerade. Er ließ die Manschetten seines Thomas-Pink-Hemds hervorblitzen und gestikulierte ausladend.
»Während der Engel im Ballon nach oben steigt, haben wir als letzte Einstellung dann also anstelle des leeren Strands Hunderte lächelnder Frauen.«
Wie bitte? Saffy traute ihren Ohren nicht. Was war denn aus dem schönen Drehbuch geworden, dem Dermot zugestimmt hatte? Und wer hatte sich das jetzt hier ausgedacht?
»Sie sind jung, hübsch, sorglos. Und außerdem«, Simon nickte wichtig, »tragen alle Weiß. Das zeigt, wie selbstbewusst sie sind, und dass sie White Feather vertrauen. Sie winken dem Engel dankbar zu.«
Sie winken dem Engel dankbar zu ? Was für eine bescheuerte Idee. Wer hatte diesem Idioten überhaupt erlaubt, das Drehbuch zu ändern?
Saffy sah sich um, aber niemand erwiderte ihren Blick. Ant und Vicky hielten die Köpfe gesenkt. Marsh notierte sich etwas. Mike futterte sich durch einen Teller Lemon Puffs. Dermot der Nervöse nagte an seinen Fingerknöcheln.
»Es gibt da anscheinend …«, hob Saffy an.
Marsh stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen und schob ihr einen Zettel zu: »Klappe. Raus hier. Und komm in zehn Minuten in mein Büro.«
»Das ist mein Kunde, Marsh. Das weißt du«, sagte Saffy. Aber sie ahnte schon, was jetzt kam. Sie hatte fast eine ganze Stunde unten am Meer gesessen und mit Pascal geredet. Sie hatte völlig die Zeit vergessen.
» Dein Kunde! Dein Kunde?«, fauchte Marsh. »Heul doch. Damit kommst du in dieser Agentur allerdings nicht weit. Der Kunde gehört Komodo! Und wenn du denkst, du kannst einfach einunddreißigeinhalb Minuten zu spät kommen und dann noch den Bestimmer spielen, hast du dich aber gewaltig geirrt.«
»Ich war bei meiner Mutter, Marsh. Sie hatte heute die erste Chemo.«
»Ach ja, Saffy? Hatte sie die im Pub? Du riechst nämlich ganz schön nach Brandy!«
»Tut mir leid, Marsh. Heute war einfach der schlimmste Tag meines Lebens. Ich hab das bis jetzt nicht an die große Glocke gehängt, aber Greg und ich haben uns nach der Hochzeit getrennt. Er hat mich mit einer beschissenen Neunzehnjährigen betrogen, und die hat ihre Geschichte jetzt an die Klatschpresse verkauft, und ...«
Marsh zupfte sich sorgfältig ein paar Haarsträhnen zurecht und hielt sich dann demonstrativ die Ohren zu.
»Es ist nicht mein Problem, dass du dein Privatleben nicht auf die Reihe kriegst. Es ist nicht mein Problem, dass deine Mutter krank ist. Aber wenn Dermot völlig panisch hier auftaucht und in letzter Minute noch etwas am Drehbuch ändern will, und du bist nirgendwo zu finden, das ist mein Problem. Und ich sitze sicher nicht herum und warte darauf, dass du endlich deinen Arsch herbewegst und das Problem für mich löst. Ist das klar?«
Saffy nickte. »Passiert nicht wieder.«
»Das will ich dir auch nicht geraten haben.« Marsh sah in ihren Kalender. »Schreibst du jetzt den Statusbericht, oder muss ich darum auch Simon bitten?«
Es goss in Strömen. Der Saum von Saffys Hosenbeinen war klatschnass. Ihre Wildledersandalen waren ruiniert. Sie könnte jetzt so schön in ihrem warmen, trockenen Büro sitzen und noch einmal das Casting-Briefing für das White-Feather-Meeting heute Nachmittag durchgehen. Stattdessen verbrachte sie die Mittagspause damit, gemeinsam mit ihrer Mutter eine Perücke auszusuchen.
»Ich brauche keine Perücke«, hatte Jill beharrt. Sie lag nicht mehr die ganze Zeit im Bett. Ihre Lebensgeister kehrten langsam zurück, und sie sah wieder mehr aus wie sie selbst. »Ich habe eine Brust verloren. Ich habe absolut nicht vor, auch noch die Haare zu verlieren. Das ist eine reine Willensfrage.«
Aber als der Abfluss der Dusche vor ein paar Tagen verstopft war, hatte Saffy darin einen Klumpen blonder Haare mit feinen, silbrigen Strähnen gefunden.
Jetzt stand sie hinter Jill und sah zu, wie eine Frau ihr verschiedene Haarteile aufsetzte. Die Namen erinnerten an Playmates: Brandi, Carla, Amber, Crystal.
»Das hier ist Modell Jennie.« Die Frau schob Jills Haare mit einem Metallkamm unter die Perücke. »Sie besteht aus reinem Menschenhaar. Handgeknüpft, mit eingearbeitetem Samtband.«
Jill hob den Kopf, und eine volle, blonde Mähne fiel ihr über die Schultern. Saffy schnappte nach Luft. Für den Bruchteil einer Sekunde reiste sie zurück durch die Zeit, ins Schlafzimmer ihrer Mutter in ihrer zweiten Wohnung, oder war es die dritte? Die mit dem Erkerfenster.
Sie war noch klein, so klein, dass sie mit den Füßen nicht auf den Boden reichte,
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