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An und für dich

An und für dich

Titel: An und für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Griffin
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wenn sie auf dem Bett saß und zusah, wie Jill ihr Haar löste. Wie Rapunzel. Eine Woge aus schimmerndem Gold, das ihr bis über die Schultern fiel. Hundert Bürstenstriche, jeden Morgen und jeden Abend. Manchmal durfte Saffy ihr die Haare kämmen.
    »Das sieht doch total lächerlich aus«, sagte Jill. »Viel zu jung. Sadbh?« Die Stimme ihrer Mutter holte sie zurück in die Gegenwart. »Sadbh?«
    Sie zwang sich, ihre Mutter im Spiegel anzulächeln, dieses neue Gesicht, umrahmt von der alten Frisur. »Vielleicht ein ganz kleines bisschen.«
    »Lass uns doch noch mal zurückgehen und Crystal bestellen«, sagte Saffy, nachdem sie den Laden verlassen hatten. »Sieht genauso aus wie deine eigenen Haare. Du könntest sie doch einfach mitnehmen, falls du sie irgendwann mal brauchst.«
    »Ich habe meine Haare ja noch.« Jill spannte ihren Regenschirm auf und gab ihn Saffy, die größer war.
    »Noch. Aber du hattest ja auch erst zweimal Chemo. Du musst doch an die Zukunft denken.«
    Saffy hatte die letzten Abende damit verbracht, die Nebenwirkungen von Jills Medikamenten zu googeln. Übelkeit, Durchfall, Erbrechen, wunde Stellen im Mund, Entzündungen, Müdigkeit, Anämie. Haarausfall war das geringste Problem, mit dem Jill zu kämpfen haben würde.
    Aber Jill verdrängte das alles, und nicht nur in Bezug auf die Chemo. Sie hatte niemandem von der Diagnose erzählt. Sie ging nicht ans Telefon, wenn Freunde anriefen. Sie hatte Saffy verboten, Len Bescheid zu sagen, und sie hatte sie gezwungen, bei ihrem Chef im Antiquitätengeschäft anzurufen und zu sagen, sie hätte Gürtelrose und würde deshalb für ein paar Monate nicht zur Arbeit kommen.
    »Ich hab mich in den Foren umgehört, Mum. Alle sagen, dass du deine Chancen auf Heilung steigerst, wenn du ehrlich bist. Du musst offen mit dem Krebs umgehen«, sagte Saffy.
    »Du gehst ja auch nicht offen damit um, was mit dir und Greg los ist. Ich lese Zeitung, weißt du.«
    Saffy zuckte zusammen.
    »Tut mir leid.« Jill seufzte. »Ich weiß, du willst nicht darüber reden, und ich mache dir auch keinen Vorwurf. Es ist schrecklich, Sadbh, einfach nur schrecklich. Aber ich kann das verstehen. Ich werd’s nicht mehr ansprechen. Können wir jetzt bitte über irgendwas anderes reden als meine Scheißkrankheit?«
    Jill fluchte so selten, dass Saffy lachen musste.
    »Worüber denn?«, fragte sie zurück. »Über das Scheißwetter?«
    Jill ging auf die Toilette. Währenddessen bestellte Saffy zwei Pfefferminztees und zwei Zitronen-Pancakes und schob sich auf der Suche nach einem freien Platz durch die Menge. Ein Mann saß allein an einem Vierertisch.
    »Ist hier noch frei?«
    »Klar.« Er kam ihr bekannt vor, und während sie sich setzte, fiel ihr – leider zu spät – ein, woher. Es war Joe, der Ballonpilot. Sie hatte versucht, diesen grässlichen Morgen auf dem Feld in Wicklow aus dem Gedächtnis zu streichen, aber jetzt fiel ihr alles siedend heiß wieder ein. Sie hatte ihm sechshundert Euro dafür geboten, Engelsflügel und einen Lendenschurz zu tragen. Dann hatte sie sich auf seine Stiefel übergeben. Sie sah unauffällig unter den Tisch. Oh Gott. Er trug immer noch dieselben Stiefel. Und es waren immer noch winzige orangefarbene Flecken von ihrem Erbrochenen darauf.
    Er bemerkte, dass sie nach unten starrte. »Ist Ihnen etwas runtergefallen?«
    »Äh, nein«, antwortete sie.
    Er sah sie verwundert an, und dann erkannte er sie.
    »Sie sind Sally, nicht? Von der Werbeagentur?«
    Sie wäre am liebsten aufgestanden und weggerannt, aber das Restaurant war völlig überfüllt. Es hätte ewig gedauert, sich durch die Menge zu kämpfen. Sie würde jetzt einfach hinter sich bringen, was sie schon vor langer Zeit hätte tun sollen. »Ja, ich bin Sally. Und ich bin wirklich froh, Sie zu treffen.« Sie holte ihr Portemonnaie aus der Tasche. »Ich schulde Ihnen noch ein Paar neue Stiefel.«
    Er sah sie an wie damals, als sie ihm die sechshundert Euro angeboten hatte. Kein guter Blick.
    »Wie bitte?«
    »Ich habe Ihnen doch, Sie wissen schon, die Stiefel ruiniert.«
    Er zuckte die Achseln. »Vergessen Sie’s, wirklich«, sagte er. »Nicht der Rede wert.«
    »Bitte!« Sie legte einen Hundert-Euro-Schein auf den Tisch. »Werfen Sie die weg und kaufen Sie sich neue. Dann hätte ich nicht mehr so ein schlechtes Gewissen.«
    Er lächelte genauso süffisant wie damals. »Ich habe sie weggeworfen. Das hier sind neue.«
    »Aber da sind doch noch so …«
    Er schüttelte den Kopf. »Farbe. Das ist

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