An und für dich
dazu!«
Er legte den Arm um sie.
»Schhh. Du musst nirgendwohin gehen. Du kannst hier bei mir bleiben.«
Saffy träumte, sie wäre der einzige Mensch auf einem riesigen Ozeandampfer. Sie rannte von einem Deck zum nächsten, durch leere Speisesäle und Ballsäle. Sie durchsuchte den Maschinenraum und kletterte auf die Brücke, aber niemand war da außer ihr. Wer steuerte denn dieses Schiff, und wie sollte sie es ganz allein anhalten?
»Wach auf«, sagte Joe sanft, »du hast schlecht geträumt.«
Er streichelte ihr Haar und deckte sie ordentlich zu.
»Geh nicht weg, ja?«, flüsterte sie.
»Ich bin bei dir.«
Nach einer Weile hörte sie wieder seine Stimme, nah an ihrem Ohr.
»Eltern zu sein, bringt einem niemand bei. Man macht Fehler. Jeden Tag macht man auf eine andere Art einen Fehler. Man will es nicht, aber es passiert trotzdem.«
»Redest du von meiner Mutter oder von meinem Vater?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Joe. »Wahrscheinlich von beiden.«
S, BIST DU MORGEN ZU HAUSE UND KANNST MICH UM 2 ZUR CHEMO FAHREN? FALLS NICHT, KEIN PROBLEM, DANN NEHM ICH EIN TAXI. KUSS, M
Saffy löschte die SMS. Dann schrieb sie zurück:
M, HABE GERADE ERFAHREN, DASS MEIN VATER AM 27. AUGUST VOR FAST DREI JAHREN GESTORBEN IST. KOMME HEUTE NICHT NACH HAUSE. KOMME AM MO ABEND VORBEI UND HOLE MEINE SACHEN. S
Saffy hatte zwei Stunden gebraucht, um ihre Sachen aus der gemeinsamen Wohnung mit Greg abzuholen. Sie brauchte weniger als fünf Minuten, um ihr altes Zimmer im Haus ihrer Mutter zu räumen. Sie kippte den Inhalt der Schubladen in einen Koffer, rollte ihre Klamotten zusammen, ohne die klappernden Bügel zu entfernen, und stopfte sie obendrauf. Dann warf sie ihre Schuhe in eine Reisetasche und war fertig. Sie nahm den Koffer und trug ihn die Treppe hinunter.
Ihre Mutter hatte sich nicht blicken lassen, aber als Saffy ihre Taschen zur Treppe schleifte, stand Jill plötzlich in einem schmuddeligen, pinkfarbenen Bademantel in der Zimmertür. Sie trug ihre Perücke und hatte unbeholfen Lippenstift aufgetragen, aber sie sah völlig fertig aus und roch nicht gut. Für einen kurzen Moment wurde Saffys Ärger kleiner. Ihre Mutter hatte noch nie nach etwas anderem als Haarspray und Joy von Jean Patou gerochen.
Jill wickelte unablässig den Bademantelgürtel um ihren Finger. Ihre Lippen zitterten. »Sadbh, ich wollte dich doch nicht …« Ihre Stimme klang brüchig.
»Einunddreißig Jahre lang anlügen?«
»Ich hab sie aufgehoben. Ich hab sie alle aufgehoben und wollte sie dir zeigen, aber die Gelegenheit hat sich irgendwie nie ergeben.«
Saffy kam wieder die Treppe herauf und schloss ihre Zimmertür. »Gelegenheit wofür? Das alles auf den Müll zu schmeißen, damit ich nie davon erfahre?« Sie nahm ihre Reisetasche.
»Du kannst ihm doch wegen ein paar Geburtstagskarten nicht verzeihen, dass er uns verlassen hat, Sadbh.«
»Seine Frau hatte MS. Er hat nur versucht, das Richtige zu tun.«
»Das Richtige wäre gewesen, bei uns zu bleiben, und nicht, zu ihr zurückzugehen! Er hat uns im Stich gelassen.«
»Das ist gelogen. Du hast ihm das Messer auf die Brust gesetzt und ihn zum Teufel gejagt. Wann wolltest du mir eigentlich erzählen, dass er die ganzen Jahre Unterhalt gezahlt hat, Mum?«
Jill klammerte sich mit einer Hand ans Treppengeländer und hielt mit der anderen ihren Bademantel zu. Sie war blass und atmete hastig. »Bitte, können wir nicht in Ruhe darüber reden? Wollen wir uns nicht hinsetzen und das alles klären?«
Sie tat mit Absicht so bemitleidenswert, dachte Saffy, und wenn es nur ein Brief gewesen wäre, wenn es nicht noch den zweiten gegeben hätte, in dem der Freund ihres Vaters ihr von seinem Tod erzählt hatte, hätte Saffy ihr vielleicht noch verzeihen können. Aber ihre Mutter hatte diesen letzten Brief gelesen. Sie hatte die ganze Zeit gewusst, was darin stand.
Sie hatte es gewusst, als sie ihr vor der Hochzeit endlich das Foto ihres Vaters in dem silbernen Bilderrahmen geschenkt hatte. Und das verschloss Saffys Herz endgültig. Ihre Mutter hatte ihr so viel vorenthalten, und dann, als alles vorbei war, hatte sie ihr dieses Foto zugeworfen, diesen winzigen Krümel.
Saffy rutschte die Reisetasche aus der Hand und die Schuhe fielen polternd die Treppenstufen hinab. Kevin Costner, der sie von unten beobachtet hatte, wurde fast von einem Stiletto erschlagen und rannte zur Tür hinaus.
»Wir hatten so viele Jahre Zeit, um darüber zu reden, Mum. Du hattest drei Jahre, um mir von seinem Tod
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