An und für dich
etwas zurückhaltend, als hätten sie Angst, sie würde ihnen den Freund ausspannen.
Als sie mit Mitte zwanzig dann endlich jemanden traf, mit dem sie richtig reden konnte, war das eine wundervolle Überraschung. Selbst wenn die meisten ihrer Gespräche eher parallele Monologe waren, in denen Jess sich über Bettnässen und Läusemittel ausließ und Saffy über Gregs Karriere und den Alltag in der Werbeagentur.
Saffy war ziemlich introvertiert und sah das Leben als eine Art Prüfung an, in der sie immer so gut wie möglich abschneiden wollte. Ganz tief drinnen war sie jedoch einer der freundlichsten Menschen, die Jess jemals kennengelernt hatte, und sollte dieser Idiot Greg ihr jemals ein Haar krümmen oder ihr Herz auch nur anknacksen, würde sie ihm aber den Tony Soprano machen.
Luke kuschelte sich enger an ihren Rücken. »Wo fahren wir noch mal hin?«, rief er ihr ins Ohr. Er war immer noch ein wenig heiser vom Weinen, aber sie hörte, dass es ihm wieder besser ging. »Der Regen ist in mein Gehirn gekrochen, und da hab ich’s vergessen.«
»Wir übernachten heute bei Saffy, wir müssen sie ein bisschen aufheitern, okay?«
»Okay. Ich habe eine DVD mitgenommen, und ich kann ihr meine Warze zeigen. Ich dachte, die wäre weg, aber sie ist noch da.«
Jess musste im Stehen treten, um den Hügel nach Irishtown hochzukommen. Herrlich, wie sie dabei die zusätzlichen einundzwanzig Kilo ihres Sohnes in jedem einzelnen Wadenmuskel spürte.
»Mag Saffy eigentlich Hamster?«, fragte Luke, als sie im Aufzug mit den getönten Scheiben standen und in Saffys Wohnung hinauffuhren.
»Weiß ich nicht, ich glaube eher nicht …« Jess sah im Augenwinkel, wie sich etwas in seiner Jackentasche bewegte.
Mit Kindern läuft das Leben nie perfekt, dachte sie, als sie Brendan sicher in ihrer Handtasche verstaute. Aber es wird auch nie langweilig.
Saffy trug eine cremefarbene Jeans und einen hellen Pullover. Jess fand, sie sah aus, als wäre sie gerade exhumiert worden.
»Ich habe Spongebob dabei!« Luke rannte an ihnen vorbei und rollte mit seinen Heelys die polierten Ahornböden entlang. Er schob die DVD in den Player, schaltete den Fernseher ein, sprang auf das weiße Ledersofa und hüpfte auf und ab.
Jess folgte Saffy ins Schlafzimmer. Die bodentiefen, weißen Jalousien waren heruntergelassen. Der Teppich war weiß. Die weißen Wände waren leer, bis auf ein riesiges eierschalfarbenes Gemälde. Es sah aus wie bei Star Trek. Man rechnete jeden Moment damit, dass eine Frau in wallenden Gewändern hereinkommen und sagen würde: »Willkommen auf unserem Planeten. Hier gibt es keinen Grund für Krieg oder Zwietracht. Hier herrscht die reine Harmonie.«
Nur dass eben nicht die reine Harmonie herrschte. Saffy war komplett angezogen ins Bett gekrochen und hatte sich schluchzend unter der Decke zusammengerollt. Jess zog sich die Schuhe aus und legte sich daneben.
»Schon gut«, sagte sie, auch wenn sie da nicht so sicher war. Sie hatte Saffy in sechs Jahren nur zweimal weinen sehen. Einmal, als sie sich den Finger in der Autotür eingeklemmt hatte, und einmal, als sie alle zusammen Titanic geguckt hatten.
»Ach Mensch. Was ist denn überhaupt passiert?« Sie streichelte Saffy den Rücken. Ihr Pullover war unglaublich weich. Saffys Sachen sahen immer ganz normal aus, waren dann aber normalerweise aus irgendeinem unvorstellbar teuren Material, das aus Seidenwürmern oder dem Bauchfell von Ziegen hergestellt wurde. »Na los, spuck’s aus.«
Saffy holte tief Luft. »Ich weiß selbst nicht richtig, was los ist. Irgendwas ist mit mir passiert, als ich den Antrag in The Station gesehen habe. Ich habe versucht, es nicht an mich heranzulassen, ich meine, das ist ja nur eine blöde Serie. Weiß ich auch. Aber als Greg dann ins Restaurant kam und alle ihm zur Verlobung mit Mia gratuliert haben, konnte ich nicht mehr.«
»Was? Wer ist denn Mia?« Jess guckte The Station nicht.
»Eine Figur in der Serie. Ganz schlimm. Sie hat so eine rote Mähne und künstliche Nägel und eklige aufgepumpte Brüste, aber sie zu heiraten ist anscheinend okay für ihn. Mich nicht.«
»Na komm, Saffy«, sagte Jess sanft. »Sie ist doch nur eine Serienfigur. Und Greg schreibt The Station ja nicht. Das war sicher nicht seine Idee.«
»Aber es war so demütigend, Jess. Und jetzt muss ich dabei zusehen, wie er eine Riesen-Fernsehhochzeit feiert und das ganze Land ihm dabei zujubelt. Das kann ich nicht. Nicht, solange ich selbst in dieser Beziehung stecke, die
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