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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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sich einsam wie nie
zuvor in seinem Leben.
    Am nächsten Morgen erwachte Félix von dem
Geschrei auf der Straße. Er sprang von seinem Bett auf, das aus einer primitiven
Holzbank sowie einer strohgefüllten Matratze bestand, um nachzusehen, was da
vor sich ging. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und zauberte mit ihrem
orange glühenden Licht einen irreführenden Charme auf die Umgebung, auf das
zerschlissene rote Tuch, das die Pereiras von nebenan als Gardine benutzten,
genauso wie auf den rotstaubigen und mit Unrat verstopften Pfad, der zu ihrer Hütte
führte. Die Federwolken am Himmel sahen aus wie rosafarbene Wattetupfen. Eine
Puppe, wie sie die Sklavenkinder oft hatten, aus Stoffresten zusammengenäht und
mit Kaffeebohnen, Reis oder Mais gefüllt, lag schlaff in einer goldschimmernden
Pfütze. All das nahm Félix mit einem kurzen Blick wahr, während er sich am
Fenster streckte und gähnte. Doch woher die aufgeregten Stimmen kamen, konnte
er nicht sehen. Was hatte das zu bedeuten, noch dazu am Sonntag nach einem
Fest? Normalerweise rührte sich an solchen Tagen nichts und niemand, bevor es
Zeit für den Kirchgang war. Félix zog sich hastig eine einfache Leinenhose an,
deren Kordel er auf dem Weg nach draußen zuband. An der Ecke seiner Hütte, von
wo er die Straße überblicken konnte, blieb er stehen. Er rieb sich den Schlaf
aus den Augen und fuhr prüfend mit den Fingern durch sein raspelkurzes
Kraushaar, in dem sich gerne mal Heuhalme aus seiner löchrigen Matratze
verfingen.
    »Ihr Lumpenpack! Ins Zuchthaus sollte man euch
alle stecken, da gehört ihr hin!« Tia Nélida hielt einen Jungen am Ohr fest,
der mit schmerzverzerrtem Gesicht schrie: »Aber ich war das nicht, Titia! Ich
schwöre bei Gott, dass ich unschuldig bin!«
    »Und wage nicht, unnütz den Namen des Herrn in
deinem schmutzigen Mund zu führen, du verlauste Teufelsbrut!«
    Zwei andere Jungen schlichen sich, von Nélida
unbemerkt, an sie heran. Sicher wollten sie ihren Kumpan aus dem Griff der
Alten befreien. Doch Félix war schneller. Er lief auf die beiden zu, machte
einen gewagten Sprung und trat, anders als er es bei der Capoeira gelernt
hatte, dem Größeren von beiden mit Wucht in den Bauch, während er gleichzeitig
dem anderen einen heftigen Schlag ins Gesicht verpasste. Nélida war so
erstaunt, dass sie für eine Sekunde ihre Aufmerksamkeit vergaß und der kleine
Dieb das Weite suchte. Die anderen beiden liefen ihm gekrümmt hinterher. Die
Alte schüttelte den Kopf. »Euch werde ich schon noch kriegen!«, rief sie den
Jungen nach. Dann wandte sie sich mit einem breiten, zahnlosen Lächeln an Félix.
    »Félix, Junge! Seit wann kannst du solche
Kunststücke?« Ihre Aussprache war undeutlich, doch das war nicht der Grund für
Félix' ratlose Miene. Träumte er? Oder hatte er wirklich gerade ein Glanzstück
vollbracht, wie es ihm in seinen Stunden bei Feijão noch nie, nicht einmal
ansatzweise, geglückt war? Und warum hatte er außer dieser Alten, der eh kaum
jemand zuhörte, weil sie so schwer zu verstehen war, keine Zeugen? Félix war
unsagbar stolz auf den Erfolg seines Eingreifens, aber auch einigermaßen
erschrocken. Dass die Bewegungen, die er in Feijãos Lektionen immer so auszuführen
gelernt hatte, dass er damit niemanden verletzte, von einer solchen
Durchschlagskraft sein konnten, war ihm neu.
    Als sich seine Überraschung gelegt hatte, fragte
Félix die alte Frau, was überhaupt passiert war.
    »Während wir alle bei dem Tanzfest waren, sind
diese kleinen Ratten auf Beutezug gegangen. Bei uns haben sie einen Sack
Maismehl mitgehen lassen. Als ich das heute Früh bemerkt habe, bin ich sofort
zu dem Verschlag gerannt, in dem die Jungen hausen, wie jeder weiß, und habe
sie dabei erwischt, wie sie gerade einen Spiegel verstecken wollten, der ganz
genau wie der aussah, den ich neulich bei den Santos gesehen habe. Was wollen
diese Burschen nur mit einem Spiegel? Sie müssen sich ja noch nicht mal
rasieren! Ich sage dir, was ich glaube, Félix: Ich glaube, dass der Leibhaftige
in ihnen steckt!«
    Félix folgte Nélidas wirren Ausführungen darüber,
wie man den kleinen Halunken ihrer Meinung nach den Teufel austreiben solle,
nur mit einem Ohr. Nein, gab er Tia Nélida zu verstehen, besser sei es, Sérgio
und die anderen Männer zu verständigen, die eine Art Gemeinderat bildeten. Sie
wurden bei Nachbarschaftsstreitigkeiten ebenso zu Rate gezogen wie bei
Betrugsvorwürfen gegen einen Markthändler oder bei Ausschreitungen

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