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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Händen hatte er dort gekauert, und anders
als seine Körperfunktionen, die er kaum unter Kontrolle bekam, war sein Geist
wach und extrem schnell. Während er mitverfolgte, was dort drinnen vor sich ging,
dachte er nicht nur über eine Fluchtmöglichkeit nach, sondern machte sich
ebenfalls Gedanken darüber, was um Gottes willen Fernanda mit dem leeren Fass
anfangen wollte, das an der Hauswand stand, direkt neben ihm. Mit außergewöhnlicher
Schärfe nahm er das verblasste Holz wahr, die rostigen Metallringe, die dicken
Käfer, die unter dem verfaulten Boden hervorkrabbelten. Gleichzeitig ging er im
Kopf durch, wer ihn verraten haben konnte. Es konnte einer der Jungen gewesen
sein, die er heute Morgen mit seinem gewagten Sprung in die Flucht geschlagen
hatte. Rache war ein starkes Motiv. Aber ob die Burschen freiwillig zu einer
Polizeiwache gingen? Und wenn es vielleicht einer seiner Kollegen gewesen war?
Aber die wussten doch gar nicht, wo er wohnte, wie hätten sie ihn da so gezielt
denunzieren können?
    »... neulich fragt mich doch der kleine Kaique
glatt ...«, hörte Félix noch, bevor er zum Spurt ansetzte. Auf der Straße näherte
sich ein Eselskarren, der bis oben hin mit Bündeln von trockenen Palmblättern
beladen war. Wenn er jetzt über die Straße lief, hatte er eine gute Chance,
sich im Sichtschutz des Karrens in Sicherheit zu bringen.
    Félix rannte los. Er rannte um sein Leben, und
er rannte selbst dann noch, als er merkte, dass die Polizisten ihm gar nicht
gefolgt waren.

XIX
    Es dauerte nicht lang, ehe Vitória in Rio de
Janeiro ein Haus entdeckte, in das sie sich auf den ersten Blick verliebte. Es
befand sich in einer relativ ruhigen Straße in Glória, einem Viertel, dessen
Lage exakt Vitórias Ansprüchen entsprach. Zum Stadtzentrum mit seinen eleganten
Einkaufsstraßen und den imposanten Regierungsgebäuden, mit seinen Theatern und
Cafés, seinen Bankhäusern und seinen bunten Märkten fuhr man nur wenige Minuten
mit der Kutsche, während südlich von Glória, ebenfalls schnell, zur Not auch zu
Fuß zu erreichen, die Nobelviertel Catete und Flamengo lagen, in denen immer
mehr Angehörige der Oberschicht ihre prachtvollen Villen errichteten und in
denen auch sie sich deshalb in Zukunft viel aufhalten würden.
    Das Haus hatte Vitória durch Zufall entdeckt,
als die Kutsche auf dem Weg zu Leóns Haus daran vorbeifuhr. »Zu verkaufen«
stand auf einem Pappschild, das schief in einem Fenster hing, dem einzigen,
dessen morsche Läden nicht geschlossen waren. Spontan ließ Vitória den Kutscher
anhalten. Von der Straße aus betrachtete sie versonnen das Gebäude, und in
ihrem Gesichtsausdruck spiegelte sich bereits die Vorfreude auf das Einrichten
der Räume, die sie noch gar nicht gesehen hatte.
    León fand Vitória in diesem Moment
unwiderstehlich. Dieses Benehmen war er von ihr nicht gewohnt – es war so mädchenhaft,
so romantisch. Und so unvernünftig. »Vita, das Haus ist in desolatem Zustand.
Lass uns lieber noch weiter suchen, wir werden schon noch das Richtige für uns
finden.«
    Aber Vitória hatte es satt, in der beengten
Wohnung Leóns zu hausen. Sechs Zimmer waren einfach zu wenig. Wenn sie ihren
bisherigen Lebensstandard auch nur annähernd beibehalten wollte, brauchte sie
ein richtiges Haus, eines, in dem Platz wäre für mindestens vier Schlafzimmer,
einen geräumigen Salon, ein kleineres Wohnzimmer, ein Esszimmer, zwei
Arbeitszimmer inklusive Bibliothek, mehrere Bäder und natürlich einen ganzen
Trakt für Küche, Nutzräume und Dienstbotenzimmer. Sie wollte endlich ihr
Personal aus Boavista holen, und die sieben Sklaven, die sie zur Hochzeit
geschenkt bekommen hatte, mussten ja irgendwo untergebracht werden.
    »Das Haus ist perfekt! Es liegt fantastisch, und
sieh nur, León, von diesem Hang aus hat man sogar einen wunderbaren Blick auf
den Strand von Flamengo und auf den Zuckerhut!«
    »Vita, Liebste, ich glaube, du lässt dich nur
von dem Charme dieses verwilderten Vorgartens bezaubern. Vielleicht sehen wir
uns das Haus einmal von innen an, bevor du dich entscheidest.« León hatte natürlich
Recht gehabt: Das Haus war in katastrophalem Zustand. Dennoch gefiel es Vitória,
je länger sie sich darin umsah, immer besser. Nicht nur seine Lage stimmte, es
hatte auch die richtige Größe, war gut geschnitten, bot von den Fenstern in der
ersten Etage einen grandiosen Ausblick, und – es war billig. Die Eigentümerin,
eine betagte Senhora, die aufgrund eines Hüftproblems nur noch zwei

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