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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Ungeschicklichkeit hatte er es zu verdanken, dass er wie ein zerstreuter
Gelehrter wirkte, was er beileibe nicht war. Gelehrt ja, zerstreut niemals.
Dazu kam sein Unvermögen, sich gut zu kleiden. Weder hatte Aaron das Geld dafür,
noch sah er die Notwendigkeit einer tadellosen Garderobe ein. Pedro hatte
versucht, ihm zu erklären, dass Aaron als frisch gebackener Advokat besser
gekleidet sein müsse, und sei es nur, um die Klienten von seinem Können zu überzeugen.
Die Leute ließen sich eben von Äußerlichkeiten blenden, und dieser Tatsache
musste sich Aaron stellen. So überzeugend seine Fähigkeiten auch sein mochten –
mit dem richtigen Auftritt erreichte man manchmal mehr.
    Aarons nachlässige Kleidung gab João Henrique
immer wieder Anlass, auf ihm herumzuhacken. João Henrique selber war stets wie
aus dem Ei gepellt. Pedro hatte ihn noch nie in einer Situation erlebt, in der
irgendeine Kleinigkeit seines Aufzugs unpassend gewesen wäre. Bei offiziellen
Anlässen wirkte João Henrique überaus seriös, im Theater gab er ein Bild der
unangestrengten Eleganz ab, in der Kirche gelang es ihm, dass er trotz seiner
modischen Aufmachung wie der Inbegriff der Bescheidenheit und Uneitelkeit
aussah. Nicht einmal bei ihren nächtlichen Streifzügen wirkte er je
mitgenommen. Pedro hatte João Henrique zwar nie bei der Ausübung seines Berufs
gesehen, konnte sich aber genau vorstellen, dass er den Patienten dank seines
untadeligen Äußeren wie ein Ausbund an medizinischer Kompetenz erscheinen
musste – und damit womöglich sogar den Heilungsprozess beschleunigte. Doch es
war nicht João Henriques Stilgefühl, das Pedro am meisten bewunderte. Vielmehr
schätzte er an ihm die unerschütterliche Selbstsicherheit. Ob Honoratioren,
Professoren oder gefeierte Opernsänger, ob am Kartentisch oder bei Prüfungen –
niemand und nichts brachte João Henriques Selbstbeherrschung ins Wanken. Einzig
Aaron konnte ihn mit einer beiläufigen Bemerkung zur Weißglut treiben.
    Wenn er mit João Henrique unterwegs war, färbte
diese Souveränität auch auf Pedro ab. In João Henriques Gegenwart fühlte er
sich stark und unangreifbar. Nicht dass Pedro ein Schwächling gewesen wäre.
Aber Hemmungen, wie sie ihn in Etablissements von zweifelhaftem Ruf überfielen,
oder Unsicherheiten, die er im Gespräch mit hohen Würdenträgern hatte, waren
wie weggeblasen, wenn João Henrique bei ihm war. Er gab ihm das Gefühl,
erwachsen zu sein. Genau das war einer der Gründe, warum er ihn nach Boavista
eingeladen hatte. João Henrique würde es ihm leichter machen, seinem Vater als
Mann gegenüberzutreten und nicht als Junge. Dank seines Namens würde João
Henrique außerdem Dona Almas Sorgen zerstreuen können, die sie angesichts
seiner anderen Gäste unweigerlich überfallen würden. Das war es allemal wert,
dafür ein paar Tage lang die Kabbeleien zwischen seinen beiden Freunden zu
ertragen.
    Langsam zog die Landschaft an den drei jungen Männern
vorbei. João Henrique hatte sich eine Zigarre angesteckt und las, gemütlich in
die roten Samtpolster gelehnt, eine Zeitung. Pedro saß in Fahrtrichtung am
Fenster, ihm gegenüber saß Aaron. Beide sahen aus dem Fenster, nachdenklich und
angespannt der eine, aufgeregt und voller Vorfreude der andere.
    Halb nackte braune Kinder liefen neben dem Zug
her und winkten. In den Vororten Rios bestimmten kläffende Hunde, zerfallene Hütten,
magere Schweine im Dreck, verhärmte Frauen mit Babys auf dem Rücken das Bild.
Doch allmählich wurde dieses deprimierende Szenario abgelöst von der
unverdorbenen Natur des Hinterlandes. Je weiter sich der Zug durch die Berge quälte,
desto üppiger und undurchdringlicher wurde das Grün. Aus dem Schotter unter den
Schienen sprossen zarte Gräser, am Rand der Gleise wuchsen wilde Orchideen.
Hier und da erspähte Pedro einen Tukan im Wald. Er sah hektisch flatternde
Kolibris und riesige, leuchtend blaue Schmetterlinge, er sah Äffchen, die sich
an Bananenstauden zu schaffen machten, und einmal erhaschte er einen Blick auf
eine Urutu, die sich um den mächtigen Stamm eines Mahagonibaumes
gewickelt hatte. Oder war es nur seine Einbildung, die ihm einen Streich
spielte? Allen Berichten der Forscher zum Trotz, die aus Brasilien täglich
Aufsehen erregende Funde neuer Tiere, Pflanzen und Krankheiten meldeten, hatte
Pedro erst selten Schlangen gesehen. Aber gut, dies hier war Urwald, und der
hatte mit dem gezähmten, gerodeten, beackerten Land des Vale do Paraíba nicht
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