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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Henrique die Zeitung beiseite und sah aus dem Fenster. Sie fuhren an
bescheidenen Holzhäusern mit kleinen Gemüsebeeten vorbei, an den Werkstätten
von Tischlern, Schlossern und Schmieden, dann an der Rückseite zweigeschossiger
Steinhäuser, in deren Hinterhöfen Wäsche trocknete. Alles in allem machte
Vassouras den Eindruck einer sauberen, freundlichen Kleinstadt. Am Bahnhof
jedoch änderte sich das Bild. Es unterschied sich nicht viel von dem des
Bahnhofs in Rio. Am Bahnsteig tummelten sich Lasten- und Gepäckträger,
Zeitungsjungen, Schuhputzer und unzählige Menschen in feiner Aufmachung, die
jemanden abholen wollten.
    Pedros Herz klopfte schneller. Er stand am geöffneten
Fenster und hoffte, ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Schließlich sah er
Jose, den Kutscher von Boavista.
    »Jose! Hier!«
    Der alte Schwarze winkte. Er drängelte sich,
zusammen mit einem Gepäckträger, durch das Gewühl am Bahnsteig und lief neben
dem bremsenden Zug entlang, bis er auf Pedros Höhe war. »Nhonhô!«, rief er, und
sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das eine Reihe perfekter
weißer Zähne freilegte. João Henrique sah Pedro ungläubig an. »Nhonhô!? Mein
Gott, für wie alt hält er dich?«
    »Was heißt denn > Nhonhô < ?«, wollte Aaron
wissen.
    »Es ist eine Verballhornung von > Senhor < beziehungsweise von > Sinhô < «, erklärte Pedro. »Die Sklaven nennen so die
jungen Herren.«
    »Die Herren unter fünf Jahren«, ergänzte João
Henrique. »Ach, lass doch. Jose hat mich immer schon Nhonhô genannt, und ich
glaube, das werde ich ihm jetzt nicht mehr abgewöhnen können.«
    Sie reichten Jose einen Teil ihrer Sachen durchs
Fenster. Die größeren Gepäckstücke nahmen sie selbst und schoben sich damit
durch den engen Gang des Zuges.
    Draußen klopfte Pedro dem alten Sklaven jovial
auf die Schulter. »Na, mein Alter, du siehst gut aus. Was macht deine Gicht?«
    »Nicht
so schlimm, Nhonhô. So der Herrgott will, werde ich noch viele Jahre die
Kutsche lenken können. Kommen Sie, der Wagen steht direkt vor dem Bahnhof.«
    Und da stand er. Der dunkelgrüne Lack glänzte in
der Nachmittagssonne, das Lederverdeck war aufgeklappt. Auf der Tür prangte das
Wappen des Barão de Itapuca, das einen Kaffeestrauch zeigte, der unter einem
Felsbogen hervorwuchs. In der Eingeborenensprache hieß Felsbogen »itapuca«, und
obwohl es sich nur um eine unscheinbare Formation an der vom Fluss markierten
Grenze der Ländereien handelte, war ebendieser Felsbogen dem Kaiser eine
willkommene Gelegenheit gewesen, für den jungen Baron einen Namen aus dem
Tupf-Guarani zu entlehnen.
    Jose drückte dem Jungen, der die Kutsche während
seiner Abwesenheit bewacht hatte, einen Vintém in die Hand. Dann belud er den
Wagen, Pedro und Aaron halfen ihm dabei. João Henrique stand daneben und rührte
keinen Finger. Endlich war alles untergebracht. Die drei Freunde nahmen in der
Kutsche Platz, Jose hievte sich auf den Bock und fuhr an.
    Erst jetzt, als der Sklave saß und seine Hose
ein Stück herauf rutschte, konnte man sehen, dass er keine Schuhe trug. Niemand
wunderte sich über den Anblick des ergrauten Schwarzen in seiner Livree, unter
dessen goldbetresster Hose die schwieligen, rissigen Füße hervorlugten. Selbst
Aaron kannte den Grund dafür: Sklaven durften keine Schuhe tragen. Es war eines
der Haupterkennungsmerkmale von Sklaven, das sie von freien Schwarzen
unterschied. Der Verkauf von Schuhen war streng reglementiert. Entflohene
Sklaven, denen es irgendwie gelang, Schuhe zu ergattern, waren vor ihren Häschern
so gut wie sicher.
    Bei Feldsklaven, die einfache Kleidung aus
grobem Leinen trugen, war die Barfüßigkeit nicht weiter verwunderlich. Doch bei
Haussklaven, die manchmal die abgelegten Kleider ihrer Herrschaft trugen und
darin sehr distinguiert aussahen, wirkten die bloßen Füße ganz und gar
unpassend.
    Die Kutsche rumpelte über die gepflasterten Straßen
von Vassouras. João Henrique und Aaron waren beeindruckt von dem gepflegten
Stadtbild. Die Häuser waren weiß, rosa, himmelblau oder hellgrün gestrichen. Am
südlichen Ende des Hauptplatzes, der Praça Barão de Campo Belo, erhob sich die
Kirche Nossa Senhora da Conceio, zu der rund zehn marmorne Stufen hinaufführten.
An der Westseite des Platzes lag das imposante Rathaus, gegenüber davon
befanden sich die Bibliothek und die Polizeiwache. Der Platz war umstanden von
Palmen und Mandelbäumen, in deren Schatten Holzbänke den Flaneuren Gelegenheit
boten, sich

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