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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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und mit ihnen zu sympathisieren.«
    »Sie
sind nützlich.«
    Himmel! Wie hatte sie je vergessen können, was
León für ein opportunistischer, berechnender, kalter Mensch war? Wer schon eine
Ehe nur aus kühlem Kalkül heraus einging, der würde selbstverständlich für
seine Karriere noch ganz andere Dinge tun.
    »Schau mal, da kommt der Senhor de Mattos auf
uns zu. Bestimmt ist auch er dir nützlich.« Damit drehte sich Vitória um und überließ
León dem hassenswerten kleinen Mann, der als Aufsichtsratsvorsitzender einer
Versicherungsgesellschaft sehr einflussreich war und dessen Freundschaft tatsächlich
vorteilhaft sein konnte. Vitória war es gleichgültig, was der Senhor de Mattos
von ihrem unhöflichen Abgang hielt. Er hatte vor ein paar Monaten darauf
bestanden, dass ihr Mann einen Vertrag für sie unterschrieb, den sie als »Frauchen«
seiner Meinung nach nicht richtig verstehen konnte. Seitdem verzichtete Vitória
auf die Zusammenarbeit mit Senhor de Mattos.
    Sie schlenderte über den Hof, nach allen Seiten
hin Bekannte begrüßend, an einem alkoholfreien Punsch nippend und auf der Suche
nach einer Person, mit der es sich zu unterhalten lohnte. Schließlich entdeckte
sie jemanden, der ihren Ansprüchen genügte und der, genau wie sie selbst, ein
bisschen vereinsamt wirkte.
    »Senhor Rebouças, was für eine schöne Überraschung,
Sie zu treffen! Sind Sie ganz alleine hier?«
    »Nein, ich habe eine Freundin mitgebracht. Aber
sie genießt, im Gegensatz zu mir, diesen Trubel und hat sich unter die Leute
gemischt.«
    »Während Sie abseits des bunten Treibens stehen
und die Bucht bestaunen? Was für ein herber Verlust für die Festgesellschaft.«
Der Mann lächelte sie höflich an, bevor sein Blick sich wieder in die Ferne
richtete. »Stellen Sie sich einmal vor, wie es wäre, wenn eines Tages eine Brücke
die beiden Seiten miteinander verbinden würde. Wenn man nicht mehr eine halbe
Tagesreise von Rio nach Niterói bräuchte, um diese gigantische Bucht zu
umrunden. Die Distanz zwischen den beiden sich am nächsten gelegenen Punkten
ist gar nicht groß ...«
    »Nein, aber trotzdem, halten Sie die Idee von
einer Brücke dieser Größenordnung nicht für ein wenig vermessen?«
    »Der Abstand dürfte nach dem neuen metrischen
System etwa viertausend Meter betragen. Eines Tages, liebe Senhora Castro, wird
es eine solche Brücke geben, dafür könnte ich meine Hand ins Feuer legen.
Bereits heute kann man Hängebrücken von fast vierhundert Metern Länge bauen,
denken Sie nur an die Brooklyn Bridge in New York. Angesichts des rasanten
technischen Fortschritts ist eine Brücke Rio–Niterói also beileibe keine
Fantasterei.«
    Vitória hielt den Ingenieur dennoch für einen
Spinner. Zugleich war sie sich der Tatsache bewusst, dass alle guten Ideen
anfangs von weniger fantasiebegabten Leuten für verrückt gehalten wurden.
Gerade sie sollte für die Visionen Rebouças ein offenes Ohr haben, denn sie
hatte ja selber schon erlebt, wie es war, nicht ernst genommen zu werden. Und
dabei hatte es in ihrem Fall keiner großen Weitsicht bedurft, den Niedergang
der Kaffeebarone vorherzusagen. Sie dachte an die Arroganz ihrer Freunde und
ihrer Familie zurück und fragte sich, gegen wie viel größere Hindernisse António
Rebouças, der Bruder des bekannten Abolitionisten André Rebouças, sich wohl
durchzusetzen hatte. Der Mann war nicht nur hochintelligent, sondern auch ein
Mulatte. Dass er es trotz erschwerter Bedingungen und der enormen Vorurteile
gegen Farbige geschafft hatte, zu einem der angesehensten Ingenieure ihrer Zeit
zu werden und sich damit den Respekt von Prinzessin Isabel zu verdienen, war
mehr als beachtlich. Er hatte sicher dreimal härter gearbeitet und verfügte über
zehnmal mehr Grips als seine weißen Mitstreiter. Solche Männer gefielen Vitória,
gleich welcher Hautfarbe.
    In diesem Moment rauschte die Freundin des
Ingenieurs auf sie zu, und Vitória entglitten fast die Gesichtszüge. Die
Schwarze Witwe! Dieser abscheulichen Person war es tatsächlich gelungen, eine
Einladung zu diesem Ball zu ergattern, während Vitórias Eltern schmollend
hatten zu Hause bleiben müssen!
    »Ah, die berühmte Sinhá Vita«, unterbrach die
Schwarze Witwe ihren Freund, der die beiden Frauen gerade miteinander bekannt
machen wollte.
    »Senhora Vitória Castro da Silva, bitte schön.
Vita nennen mich nur meine Freunde.«
    Die Schwarze Witwe legte den Kopf in den Nacken
und lachte. Sie war wirklich eine schöne Frau, das

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