Ana Veloso
unternahm etwas dagegen. Die Wahrheit
war viel zu profan und für beide zu beschämend, als dass man bei irgendeiner
gepflegten Konversation damit hätte brillieren können.
Als sie damals mit ihren Eltern zu Pedro
gefahren war, hatte sich Rogério genau dreißig Minuten Zeit gelassen, bevor er
sie um ein zinsloses Darlehen in Höhe von fünfhunderttausend Reis bat. Dreißig
Minuten, in denen er ihr glühende Blicke zugeworfen, ihr Komplimente gemacht,
sie nach allen Regeln der Kunst umgarnt hatte. Und sie war darauf
hereingefallen! Sie hatte sich wieder begehrenswert gefühlt, sorglos und hübsch,
und sie hatte sich von Rogérios Charme und seiner »tragischen Aura« einlullen
lassen. Himmel, dabei wusste sie doch selber am besten, dass man nur der
Eitelkeit einer Person zu schmeicheln brauchte, wenn man bei dieser Person
etwas erreichen wollte! Sie hatte dieses Spiel mit Bankiers, Bürokraten und Börsianern
gespielt, sie beherrschte es wie keine Zweite – und doch hatte sie sich von Rogérios
Tricks, die im Vergleich zu ihren eigenen regelrecht plump waren, einwickeln
lassen. Eine halbe Stunde lang.
Sie hatte ihm das Geld geliehen, frustriert darüber,
dass sie anscheinend keinen Mann mehr mit ihren Reizen locken konnte, sondern
nur noch mit ihrem prall gefüllten Bankkonto. Sie hatte gewusst, dass sie das
Geld nie wiedersehen würde, doch dass er es so schnell unters Volk brachte,
hatte sie nicht für möglich gehalten. Rogério hatte sich eine neue Garderobe
schneidern lassen, sich eine elegante Kutsche zugelegt, eine große Wohnung in
bester Lage in Botafogo bezogen. Den Rest hatte er dann unvorsichtig in
riskante Wertpapiere und nicht existente Eisenbahngesellschaften investiert –
und verloren. Das schien ihn aber nicht weiter zu stören. Er lebte weiterhin
auf großem Fuß, und er fand offenbar immer noch Menschen, die ihm Geld liehen
oder ihm welches anvertrauten, damit er als »Börsenexperte« es für sie
vermehren möge.
Der Mann schnorrte sich durch alle angesehenen Häuser
Rios, indem er vorgab, Vitórias »guter Freund« zu sein, die Leute bewusst
glauben lassend, er sei ihr Geliebter. Er war bei jedem Empfang, jeder Soiree,
jedem Ball zu sehen und bezahlte keine Mahlzeit selbst. Es war unglaublich, wie
leichtgläubig die Menschen waren. Der schöne Schein – eine gute Adresse und ein
poliertes Auftreten – war den meisten Grund genug, Rogério für einen
umsichtigen jungen Mann zu halten, den höhere Gewalt von seiner Fazenda
vertrieben und der jetzt auf bewundernswerte Weise Fuß in der Hauptstadt
gefasst hatte. Dass Rogério attraktiv war und hervorragend tanzte, erleichterte
ihm die Dinge. Die Herzen der umschwärmtesten Senhoritas flogen ihm zu, und die
ihrer Mütter ebenfalls.
Vitória äußerte sich zwar nie zu den
romantischen Abenteuern, die man ihr und Rogério unterstellte, warnte aber mehr
als deutlich vor seinem schamlosen Geschäftsgebaren. Doch die Geldgier der
Menschen, ihre Lust auf schnelle Gewinne bei geringem Einsatz, war stärker als
ihre Vernunft. Viele führten Vitórias Warnungen auf verletzte Eitelkeit,
Eifersucht oder ein gebrochenes Herz zurück und hörten nicht auf sie. Rogério
bestärkte seine Opfer noch in ihren Vermutungen und setzte auf männliche
Solidarität. »Aber ich bitte Sie, Senhor Ribeiro, wir beide wissen doch, zu
welchen Mitteln eine unglückliche Frau greifen kann ...« Bitte, dachte Vitória,
sollten eben alle diesem Verbrecher ihr Geld anvertrauen – und ihre gerechte
Strafe verdienen.
»Der Mann ist ein Betrüger. Du musst ihm Einhalt
gebieten«, hatte León ihr vor ein paar Tagen gesagt, nachdem ein Bekannter von
ihm eine erkleckliche Summe durch Rogérios Leichtsinn verloren hatte.
»Ich finde eigentlich, dass das deine Aufgabe
gewesen wäre. Die Ehre deiner angetrauten Ehefrau, die Rogério mit seinen anzüglichen
Andeutungen in den Schmutz zieht, ist dir egal, aber das reduzierte Vermögen
deines naiven Bekannten animiert dich endlich zum Handeln.«
»Ich kämpfe nie für eine Sache, die schon
verloren ist.«
Während Vitórias Ehre, ohne ihr Verschulden, nur
ein paar Kratzer abbekommen hatte, war die Monarchie tatsächlich unrettbar
verloren. Außer Eduardo und Alma da Silva glaubte keiner mehr an den
Fortbestand eines Kaiserhauses in Brasilien, was jedoch niemanden daran
hinderte, sich um die Einladungen für den großen Ball auf der Ilha Fiscal zu
reißen.
Auf der kleinen Insel, in der Guanabara-Bucht
direkt vor dem Quai Pharoux
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