Ana Veloso
musste Vitória ihr lassen.
Ihr Haar war sorgfältig geglättet und mit einem künstlichen Haarteil
aufgesteckt worden, sodass ihre afrikanische Herkunft kaum noch auffiel. Sie hätte
auch eine exotische Südseeschönheit sein können oder eine Orientalin. Vitória
dachte verzweifelt darüber nach, wie der richtige Name der anderen lautete. Es
war immer nur von der Schwarzen Witwe die Rede, und ihre letzte, ihre einzige
Begegnung lag Jahre zurück. Die einzige Methode, mit der sie eine Blamage
verhindern konnte, war Schweigen.
Lange ließ die Rettung nicht auf sich warten.
»Die liebe Cordélia ist schließlich auch eine
alte Freundin Ihres Mannes.«
Vitória hatte nicht mitbekommen, worauf sich die
Bemerkung bezog, aber als der Name Cordélia fiel, wurde sie hellhörig.
»Ja, das ist sie wohl, die liebe Cordélia. Eine
alte Freundin. Es heißt, er bevorzugt jetzt jüngere.« António Rebouças hatte
ihr dankenswerterweise das Stichwort zu dieser unerhörten Frechheit gegenüber
der Schwarzen Witwe geliefert. Dass sie sich von der Gelegenheit dazu hatte
hinreißen lassen, auch León in den Schmutz zu ziehen, tat ihr schon eine
Sekunde später Leid. Egal, wie katastrophal ihre Ehe war, und trotz ihrer
Verachtung für León – man machte solche Probleme immer unter sich aus. Die Öffentlichkeit
gingen sie einen feuchten Kehricht an.
Der Schwarzen Witwe stand bereits der Triumph,
den sie mit ihrer Erwiderung erzielen würde, ins Gesicht geschrieben, als ein
befreundetes Paar der beiden auf sie zukam und ihre ganze Aufmerksamkeit
beanspruchte.
Vitória schlich sich unauffällig davon.
León wunderte sich über Vitória. Sie war zu ihm
gestoßen, als er einer Gruppe von Würdenträgern und ihren Frauen auf deren
Wunsch eine Anekdote aus seiner Zeit als Sklavenbefreier erzählte, in der er
widerliche Details ausließ und die moralisch erbaulichen Aspekte maßlos übertrieben
darstellte. Normalerweise wäre Vita vor Zorn rot angelaufen, so wie sie es
immer tat, wenn sie ihn von seinen »Heldentaten« reden hörte. Doch heute Abend
war sie anschmiegsam wie ein kleines Kätzchen. Sie hakte sich bei ihm unter, strich
ihm liebevoll einen Fussel vom Ärmel, hing an seinen Lippen, als habe sie nie
etwas Geistreicheres gehört, und lächelte ihn ohne jede Spur von Ironie an. León
traute dem Frieden nicht. Hatte sie irgendetwas ausgefressen, für das sie ihn
schon einmal prophylaktisch besänftigen musste?
»Sie müssen sehr stolz auf Ihren Mann sein«,
sagte nun eine dicke Senhora mit einem gutmütigen, pausbäckigen Gesicht.
»0 ja, sehr.« Besonders auf den Diebstahl von Félix,
dessen Verschwinden mir schreckliche Albträume verursacht hat, fügte Vitória im
Geiste hinzu. Doch an ihrer Miene war nichts von diesen Gedanken abzulesen.
»Diese armen Kreaturen – wer weiß, wie lange sie
ohne den Mut und die Tatkraft Ihres Mannes noch in den senzalas hätten
leiden müssen.«
Ob es an dem funkelnden Blick Vitórias lag oder
ob die Frau sich plötzlich von allein an Vitórias Herkunft erinnerte, war nicht
auszumachen, als die Senhora sich ans Herz fasste, puterrot anlief und
schluckte. »Oh, ich ... es ... o Gott, verzeihen Sie bitte!«
Vitória bewahrte die Haltung. Sie war der dicken
Dame nicht böse. Leute wie sie konnten es nicht besser wissen, wenn sie nur
Schauermärchen hörten, die sie von León und Konsorten aufgetischt bekamen.
»Ach, das macht doch nichts«, sagte Vitória
freundlich, als spräche sie zu einem Kind. »Ich selber fand den Anblick all der
angeketteten, halb verhungerten Sklaven auch nicht so schön. Aber wissen Sie,
ohne die Peitsche spurten diese Wilden nun einmal nicht.« Vitória spürte, wie
sich León verkrampfte. Himmel, was war nur in sie gefahren? Kaum dass sie
einmal nett zu León sein wollte, vereitelten ihre scharfe Zunge und ihre
Impulsivität dieses Vorhaben. Wenn sie hier, vor der crème de la crème Rios,
ein Bild von sich zeichnete, das die schlimmsten Klischees von den
Sklavenhaltern bestätigte, tat sie weder León noch sich oder ihrer Familie
einen Gefallen.
»Aber dann«, ergänzte Vitória, »kam dieser Held
des Weges und hat uns alle, Herren wie Sklaven, aus dieser schändlichen
Situation befreit. Ach, Schatz, wo wären wir heute ohne dich?« Sie drückte León
einen keuschen Kuss auf die Wange und zwinkerte ihm zu, als sei sie frisch
verliebt. León dagegen starrte sie bohrend an. Vitória schwor sich, fortan
keine Silbe mehr zu sagen. Je mehr sie sprach, desto
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