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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Gustave Eifel, dessen umstrittener Turm die Hauptattraktion der diesjährigen
Weltausstellung in Paris sein sollte. Er ließ sich von Joanas Bruder in die
Geheimnisse der Aerodynamik einweihen, und seine Begeisterung für die Fliegerei
ging so weit, dass er sich für einen absurd hohen Preis ein Buch schicken ließ,
»Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst« von Otto Lilienthal, das er ohne
Kenntnisse der fremden Sprache nicht einmal lesen konnte. Er kommunizierte mit
Thomas Alva Edison, er zerlegte alle möglichen Apparate, unter anderem ein
nagelneues Grammofon, das ihm Vitória zum Geburtstag geschenkt hatte, und er
verfolgte mit Spannung die Fortschritte auf den Gebieten der Fotografie, der
Medizin, der Chemie. Sein Idol war der Physiker Heinrich Hertz, der den
experimentellen Nachweis über elektromagnetische Wellen erbracht und damit
nicht nur die Maxwellsche Theorie bewiesen hatte, sondern auch den Grundstein für
drahtloses Telegrafieren gelegt hatte. Er begeisterte sich für die luftgefüllten
Reifen, die ein Engländer namens Dunlop auf den Markt gebracht hatte, und er träumte
davon, eine Additionsmaschine, wie Burroughs sie erfunden hatte, zu besitzen.
    Vitória fragte sich zwar, wozu eine
Rechenmaschine gut war, wenn nicht zur Ermutigung aller Dummköpfe, sich noch
weniger Mühe beim Kopfrechnen zu geben, aber sie war froh darüber, dass ihre
Eltern etwas gefunden hatten, das sie beschäftigte. Als Besuch empfand sie den
Aufenthalt ihrer Eltern bei ihr in Rio schon lange nicht mehr: Das Haus in Glória
war jetzt Dona Almas und Eduardos Zuhause. Eduardo da Silva hatte sich in dem
Raum, der einmal das »Gartenzimmer« war und in dem Blumenkübel, Gießkannen und ähnliche
Utensilien aufbewahrt wurden, eine Art Werkstatt eingerichtet, in der er
Apparate zerlegte, technische Zeichnungen studierte oder Klangexperimente mit
Mikrofonen durchführte – Letzteres ein stetes Ärgernis für León, dessen
Arbeitszimmer direkt über dem Gartenzimmer lag. Nachdem er seinen
Schwiegervater dazu gebracht hatte, seine lauteren Experimente nur dann
durchzuführen, wenn er, León, außer Haus war, fand aber auch er Gefallen an der
Verwandlung, die mit Eduardo vor sich gegangen war. Dona Alma hatte eines der
ungenutzten Kinderzimmer in einen Tempel zur Anbetung von Adligen gemacht, die
Wände mit nur für sie durchschaubaren Stammbäumen tapeziert und die Regale mit
einschlägiger Literatur gefüllt. Vitória war es recht: Beide waren aufgeblüht,
hatten eigene Interessen und Freunde und ließen sie in Ruhe. In ihrem Haus war
Frieden eingekehrt.
    In den ersten Tagen des Januars 1890 suchte eine
entsetzliche Hitzewelle die Stadt heim. Temperaturen über vierzig Grad, wie sie
seit Jahren niemand mehr erlebt hatte, lähmten die Bewohner, saugten ihnen jede
Energie aus den Knochen, ließen sie matt in ihren verdunkelten Häusern sitzen.
Selbst bei der größtmöglichen Ventilation, im Durchzug oder im Schatten auf der
Veranda, und sogar bei Kutschfahrten brachte die Luft keine Kühlung, sondern umhüllte
die Menschen wie eine viel zu warme, verschwitzte, juckende Wolldecke. Die
Sommergewitter, die sich täglich über Rio entluden, waren von einer solchen
Gewalt, dass sie alle in Angst und Schrecken versetzten. Linderung brachten
auch sie keine. Die zerstörerischen Wassermassen verdampften auf der erhitzten
Erde so schnell, wie sie aus dem Himmel gekommen waren, und der Dampf überzog
alles mit einer feucht-klebrigen Schicht. Spiegel, Fensterscheiben oder
Kristallvasen wirkten immer, als seien sie nicht ordentlich poliert wie im
Winter, um zu trocknen, und fühlte sich selbst dann noch klamm an. Die
modischsten Frisuren verwandelten sich in Sekundenschnelle in klein gelockte,
formlose Haarberge. In Hutschachteln, Wäschetruhen, Koffern und anderen Gegenständen
oder Orten, die nicht regelmäßig belüftet wurden, wucherte der Schimmel. Einzig
die Natur profitierte von dem für zivilisierte Menschen unerträglichen
Zusammenspiel von Wärme und Feuchtigkeit: In den Parks und Gärten wuchsen und
gediehen die Pflanzen, dass es eine Pracht war.
    Wer es sich erlauben konnte, floh in dieser
Jahreszeit in die Höhenlagen. An der Spitze der Beliebtheitsskala aller
Ferienorte stand nach wie vor Petrópolis, der Sitz der einstigen kaiserlichen
Sommerresidenz. Auch Itaipava, Teresópolis und andere Orte rund um die bizarren
Berge der Serra dos Órgãos erfreuten sich eines zunehmenden Besucherinteresses.
Doch Vitória blieb in Rio,

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