Ana Veloso
vollkommen
und glotzt stundenlang schweigend an die Wand. Er ist nicht mehr er selbst.
Bitte, Aaron, vielleicht vertraut er dir seinen Kummer an. Mich jedenfalls
scheint er gar nicht mehr wahrzunehmen.« Joana klammerte sich flehend an Aarons
Arm. Er legte den anderen Arm um ihre Schultern, drückte sie an seine Brust und
tätschelte ihr aufmunternd den Kopf.
Fernanda fühlte sich schäbig. Es war ungehörig,
zu lauschen und aus dem Augenwinkel das Mienenspiel dieser beiden Menschen zu
beobachten. Sie mussten sehr vertraut miteinander sein. Vielleicht war dieser
korrekt gekleidete Herr mit dem spitzbübischen, sommersprossigen Gesicht ein
naher Verwandter, ihr Bruder gar? Nein, dachte Fernanda, so große
physiognomische Unterschiede zwischen Geschwistern gab es nicht einmal in
Brasilien.
»Scht, Joana. Das geht vorüber. Vielleicht würde
ihm ein Ortswechsel gut bekommen? Vita könnte ihn in der Mine unterbringen oder
in ...«
»Vita ist Teil seines Problems, verstehst du das
denn nicht, Aaron? Es verletzt seinen Stolz, so stark auf Vita angewiesen zu
sein. Und dabei ahnt er noch nicht einmal, wie abhängig er wirklich von ihr
ist.«
»Und? Ich selber verdiene auch nicht schlecht an
ihr.«
»Nein, aber du wärst auch zu Wohlstand gekommen,
wenn du dich nicht um Vitas Belange gekümmert hättest. Du brauchst sie nicht –
nicht als Klientin.«
»Was soll das heißen? Glaubst du etwa auch an
diese bösartigen Gerüchte?«
»Nein. Ich glaube an das, was ich sehe. Und in
deinem Gesicht lese ich klar und deutlich deine grenzenlose Verehrung für Vita.
Wirst du um ihre Hand anhalten, wenn sie geschieden ist?«
Fernanda wartete die Antwort des Mannes nicht
mehr ab, sondern zwang sich zum Weitergehen. Ihr Herz klopfte laut. Sie kannte
diese Vita nur vom Sehen, hatte aber von Félix viel über sie erfahren. Sie war
die Sinhazinha auf Boavista gewesen, bis sie León Castro geheiratet hatte.
Merkwürdig, dachte sie, von Dona Doralice oder von León, die sie gelegentlich
trafen, hörte man kein Sterbenswörtchen über diese Frau. Was mussten das für
merkwürdige Familienverhältnisse sein, dass weder der Ehemann noch die
Schwiegermutter je von Vita begleitet wurden und nie von ihr sprachen? Für
einen Mann wie León, den Fernanda als 16-Jährige, auf Esperanca, selber eine
Zeit lang angehimmelt hatte, hätte sie sich eine bessere Frau gewünscht. Aber
gut, bald würde er sie ja offenbar los sein.
Fernanda brannte darauf, Félix von dieser
Neuigkeit zu berichten. Als er am Abend nach Hause kam, sich an den Tisch
setzte und darauf wartete, dass sie den Suppentopf brachte, sagte sie während
des Umrührens beiläufig: »Stell dir vor, León Castro will sich scheiden lassen.«
Sie nahm den Topf vom Herd, stellte ihn auf den Tisch und merkte, dass Félix
ihr gar nicht zugehört hatte.
Er war mit dem Baby beschäftigt. Und das hatte
ihn gerade zum ersten Mal angelächelt. Sein Felipe. Sein Sohn. Sein ganzer
Stolz.
XXXII
Pedro war allein zu Hause an diesem
Samstagmorgen. Wie oft hatte er sich das gewünscht! Doch jetzt, da kein Laut
aus der Küche zu hören war, kein Fußgetrappel im Obergeschoss, kein Türenklappern
und keine Stimmen, erschien ihm die Stille unheimlich. Joana war zu einem Lunch
mit Loreta verabredet, Luiza hatte ihren freien Tag, den sie bestimmt wieder
bei Félix' Familie verbrachte, und Maria do Céu war mit ihrer Mutter einkaufen
gegangen.
Was sollte er jetzt anfangen mit dem
unerwarteten Geschenk? Lesen? Auf dem Beistelltisch im Salon stapelten sich
mindestens zehn Bücher, die er durchgeblättert oder angelesen und dann lustlos
beiseite gelegt hatte. Nein, auch heute war ihm nicht nach der Lektüre zumute.
Vielleicht sollte er die eingeschlafene Korrespondenz mit dein Galeristen in
Nizza wieder aufnehmen? Es hatte ihn immer gefreut, Post aus Frankreich zu
bekommen, in der ihm der Galerist von neuen Tendenzen in der Kunstszene
berichtete, ihm Tipps für Käufe gab, ihm manchmal Abbildungen von Gemälden
schickte, die ihm nach Pedros Geschmack zu sein schienen. Ach, lieber nicht.
Warum sollte er sich den Mund wässrig machen lassen, wenn er dann doch kein
Kunstwerk erwerben konnte? Sein Gehalt reichte zwar aus, um alle anfallenden
Kosten im Haushalt, ihre Garderobe sowie ein paar Abende außer Haus zu
bezahlen, doch die Anschaffung von impressionistischen Gemälden, deren Preise
in den vergangenen Jahren stark gestiegen waren, ging weit über seine Verhältnisse
hinaus.
Ein Läuten an der Haustür
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