Ana Veloso
sahen betreten auf.
»Wenn Sie schon nicht in der Lage sind, die Frau
des Chefs freundlich zu begrüßen, wie treten Sie dann erst den Kunden gegenüber
auf? Sollte ich Zeugin eines ungebührlichen Verhaltens werden, sollte ich
jemals sehen, wie Sie einen Kunden, so unbedeutend seine Einkäufe auch sein mögen,
arrogant, unverschämt oder beleidigend behandeln, können Sie sich woanders eine
Anstellung suchen. So, Bernardo, und jetzt drehen Sie bitte das Schild um.«
Félix war verzückt. Wie nicht anders erwartet,
hatte Fernanda sich angesichts der neuen Herausforderung in einen Drachen
verwandelt, dessen schulmeisterlicher Ton keine Widerrede duldete. Er selber
verfügte nicht über diese Autorität, die Fernanda besaß und die durch ihre
Erfahrung als Lehrerin nur verstärkt worden war. Er scheute vor so deutlichen
Worten zurück, und die Tatsache, dass er seine freundliche Kritik aufschrieb
und nicht laut und deutlich äußern konnte, entschärfte seine Worte dann
vollends. Félix wusste, dass ihm die Leute auf der Nase herumtanzten – genauso
wie er wusste, dass die drei Neuen noch um ein Vielfaches besser waren als die
Angestellten, die er vorher gehabt hatte. Hoffentlich war Fernanda nicht gar zu
streng mit ihnen, denn gute Leute zu finden war gar nicht so einfach.
Gegen elf Uhr, nachdem Fernanda mit Argusaugen
darüber gewacht hatte, dass das Personal die Kunden stets freundlich bediente,
verließ sie den Laden.
»Félix, kannst du mich eine Stunde entbehren?
Ich sehe mich mal ein bisschen in der Nachbarschaft um – und bei der
Konkurrenz, sie kennt mich ja nicht. Noch nicht.«
Merkwürdig, dachte Félix. Monatelang hatte er
den Laden allein geführt, doch tatsächlich hatte Fernanda sich in den wenigen
Stunden, die sie heute hier war, bereits unentbehrlich gemacht. Sie besaß alle
Eigenschaften, die ihm fehlten. Während er unschlagbar darin war, beim
Grossisten die niedrigsten Preise auszuhandeln oder die Nachfrage nach
bestimmten Waren vorherzusagen, war Fernanda, das gestand er ihr neidlos zu,
besser im Umgang mit Menschen. Selbst die geschurigelten Angestellten waren
schon nicht mehr gar so entsetzt von Fernanda wie am Morgen. Sie hatte der
armen Leopoldina eine Kompresse für ihr Auge bereitet, hatte Paulinhos Muskeln
bewundert, als sei er Herkules persönlich, hatte Bernardos Rechenkünste gelobt
und Albertos gediegene Garderobe. Sie hatte auf einen Blick erkannt, wo die
Schwächen und die Stärken der Leute lagen, was sie verletzte, wie man ihnen
schmeicheln konnte, wie man sie zur Arbeit antrieb.
Fernanda merkte erst beim Verlassen des Ladens,
wie ihre Füße brannten. Bestimmt hatte sie dicke Blasen, in der nächsten
Drogerie musste sie sich unbedingt etwas dagegen besorgen. Aber vorher wollte
sie den alten Bekannten in den Nachbarläden Guten Tag sagen. Ob Norma noch in
dem Wäschegeschäft arbeitete? Und Cristina in dem Haushaltswarenladen? Das wäre
schön, wenn sie mittags, bevor sie Felipe abholte, auf einen Plausch bei ihnen
vorbeischauen könnte.
Ihre Bekannten waren hoch erfreut, Fernanda zu
sehen, und man versprach sich unter vielen Küsschen und Umarmungen, künftig den
Kontakt nicht mehr abreißen zu lassen. Fernanda hielt sich nicht lange auf, von
Zeitmangel und einem schmerzhaften Pulsieren in den Fersen zur Eile
angetrieben. Sie schwitzte und verzog das Gesicht, als sie schließlich in den
Verkaufsraum der »Papelaria da Alfândega« trat. Eine junge Verkäuferin kam
sofort auf sie zu und fragte besorgt: »Geht es Ihnen nicht gut, gnädige Frau? Möchten
Sie sich einen Moment hinsetzen?« Fernanda nahm den ausgestreckten Arm der fürsorglichen
Frau, ließ sich von ihr zu einer Stuhlbank führen, die sehr dekorativ in einer
Nische der Regalwand stand, und nahm dankbar das Glas Wasser, das die Frau ihr
reichte. In ihrem eigenen Laden hatte sie es oft genug erlebt, dass Passanten,
vom langen Flanieren in der Hitze halb ohnmächtig, hereinkamen und sich
hinsetzen mussten. Doch sie bezweifelte, dass einer ihrer Angestellten so
freundlich zu den armen Leuten war, schon gar nicht, wenn es sich um Schwarze
handelte. Sie betrachteten sie als Störenfriede, nicht als potenzielle Kunden.
Was für ein Fehler, dachte Fernanda jetzt, da sie selber für eine Frau mit
schwachem Kreislauf gehalten wurde. Während man auf der Bank saß, hatte man
Zeit, die Produkte zu betrachten, und selbst wenn man nichts davon brauchte, würde
man doch aus Dankbarkeit eine Kleinigkeit kaufen. Und sich
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