Ana Veloso
später, wenn man ein
Album oder eine ausgefallene Feder suchte, des Ladens erinnern.
Fernanda blieb zehn Minuten sitzen und
beobachtete die Verkäufer und ihren Umgang mit den Kunden. Das Sortiment des
Geschäfts war lange nicht so gut wie das ihres eigenen, die Einrichtung war
nicht so schön und die Vitrine nicht so gut ausgeleuchtet. Aber das Personal
war viel eifriger bei der Sache, und den Kunden gefiel es, mit welcher
Ehrerbietung sie hier behandelt wurden. Als die junge Frau einen Moment Zeit
hatte, ging sie zu Fernanda und fragte, ob sie sich während ihrer kleinen Pause
gern ein paar neue Federhalter ansehen würde, sie hätten ganz entzückende neue
Modelle hereinbekommen.
»Ja, sehr gern, Senhorita ...«
»Rosa.«
»Sagen Sie, Senhorita Rosa, würden Sie gerne
mehr verdienen?«
Am darauf folgenden Mittwoch fing Rosa bei Fé
an. Sie erwies sich als ausgezeichneter Fang. Sie fand schnell Kontakt zu den
neuen Kollegen und wirkte zufrieden mit ihrem Stellenwechsel, obwohl Alberto
sie in seiner neuen Funktion als »Chefverkäufer« mehr als nötig herumschubste.
Doch in der Papelaria da Alfândega hatte Rosa auch einen schlimmen Vorgesetzten
gehabt, es kümmerte sie wenig. Der Patron und seine Frau waren in jeder Hinsicht
großzügig zu ihr, das allein zählte.
Fernanda setzte ihre Erkundungen der
Nachbarschaft fort. Die kunstvoll eingeräumten Vitrinen des Tabakladens
inspirierten sie zu neuen Schaufensterdekorationen, die mit dem Namen des
Ladens bestickten Verkäuferschürzen in der Weinhandlung veranlassten sie dazu,
eine ähnliche Uniform auch bei Fé einzuführen, und die Blumenkübel vor dem
Kurzwarenladen ermutigten sie zu der gleichen Extravaganz. Immer ging sie auf
einen kurzen Schwatz auch bei Norma und Cristina vorbei, bevor sie sich um ein
Uhr mittags auf den Weg zu Juliana machte, um Felipe abzuholen. Jedes Mal war
Fernanda erleichtert, ihren Liebling noch lebend vorzufinden. Nicht, dass
Juliana nicht gut auf ihn aufgepasst hätte. Nicht, dass dem Kind irgendetwas fehlte,
ganz im Gegenteil. Doch Fernandas Fantasie spielte ihr böse Streiche. Sie malte
sich aus, wie Felipe beim Wickeln vom Tisch fiel und sich das kleine Genick
brach. Sie stellte sich vor, wie eines von Julianas tobenden Kindern einen
Kessel mit kochendem Wasser vom Herd stieß, direkt auf das zarte Bäuchlein
ihres Schatzes. Sie rief sich jedes erdenkliche Schreckensszenario vor Augen
und konnte sich derartig in ihre Angst hineinsteigern, dass ihr die Tränen
kamen. Solange sie durch die Arbeit abgelenkt war, hatte Fernanda sich im
Griff, aber kaum dass sie in der Straßenbahn saß und eine Viertelstunde Zeit
zum Nachdenken hatte, überfielen sie unweigerlich diese furchtbaren Visionen,
immer gefolgt von einer grausamen Erkenntnis: Sie war eine Rabenmutter! Ob sie
vielleicht nur dreimal die Woche im Geschäft arbeiten sollte? Das wäre genug,
um das Personal weiterhin auf Trab zu halten, würde ihr aber mehr Zeit für
Felipe lassen. Doch dann dachte Fernanda wieder an die endlosen Tage, die mit
nichts als Geschrei von Felipe und Genörgel von den Nachbarn gefüllt gewesen
waren, und sie verwarf die Idee wieder. Es reichte, wenn sie sich an den
Nachmittagen die Ohren voll heulen lassen musste. Sie fühlte sich scheußlich
bei ihren unmütterlichen Überlegungen.
Bei einem ihrer Spaziergänge durchs
Stadtzentrum, die ihr zu einer lieben Gewohnheit geworden waren, entdeckte
Fernanda in der »Guitarra de Prata«, einer Musikalienhandlung, ein bekanntes
Gesicht. Sie wollte bereits auf die Frau zugehen und sie begrüßen, besann sich
aber dann eines anderen. Sie wusste nicht einmal mehr den Namen der Frau, die
sie in ihrem ganzen Leben nur einmal getroffen hatte, nämlich bei Josés
Beerdigung. Außerdem war die Frau in ein Gespräch mit einem rothaarigen Mann
vertieft, den Fernanda nie zuvor gesehen hatte. Fernanda wollte schon
weitergehen, als sie den Namen Vita hörte. Sie blieb mit einigem Abstand zu den
beiden am Tresen stehen, studierte hingebungsvoll die Machart einer Blockflöte
und lauschte.
»Anstatt dich um die Formalitäten für diese
unselige Scheidung zu kümmern, die Vita in Wahrheit gar nicht will, solltest du
dein Augenmerk einmal auf Pedro richten. Er ist dein ältester Freund, Aaron.
Dein bester Freund. Und es geht ihm nicht gut. Ich weiß mir einfach keinen Rat
mehr. Er sieht furchtbar aus, trinkt immer mehr und wird schon ganz
aufgedunsen. Er fährt andauernd aus der Haut – oder verschließt sich
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