Analog 07
mehr oder weniger in einer Reihe standen, säumten das Flußufer. Er sah Feldhaubitzen schimmern, davor die Pulks der „Pferde“, die sie zogen, sowie einen größeren Pavillon mit Flagge, der zweifellos Napoleon beherbergte. Er hörte Murmeln von unten, gelegentlich auch die Strophe eines Liedes. Diese Große Armee hielt zwar einem Vergleich mit dem Original kaum stand, mußte jedoch ebenfalls Tausende von Hokas umfassen.
Nachdem er sich über den Weg klargeworden war, begann Alex mit dem schwierigsten Part seiner Reise. Sein Puls dröhnte ihm laut im Ohr, doch sein Schritt war leise. Seit langem schon betrieb er das Anpirschen an scheue Tiere, um sie zu fotografieren, als Sport.
Schließlich kam er an zwei Wachtposten vorbei, die so sehr im Vergleich von Liebesbriefen gefangen waren, daß sie ihn nicht bemerkten. Seine begrenzten Französischkenntnisse verrieten ihm, daß es sich bei Madeleine um eine Frau handeln mußte – wenn sie nicht völlig erfunden war, was auch nicht unwahrscheinlich war. Weiter vorn kroch er dann auf dem Bauch an Lagerfeuern vorbei, wo Soldaten saßen und würfelten oder Balladen sangen, die alle den Refrain „Rataplan! Rataplan!“ zu enthalten schienen. Zwischen den Zelten verringerte sich die Gefahr einer Entdeckung noch.
Auf diese Weise konnte er tatsächlich bis zu dem großen Zelt in der Mitte des Lagers vordringen, ohne daß ihn jemand bemerkte. An der Mittelstange flatterte ein Banner im Wind, das ein goldenes IV mit einer Girlande trug. Das Mondlicht schimmerte auf den Bajonetten und Musketen von etwa einem halben Dutzend Wachtposten, die vor dem Zelteingang standen. Aus einer offenen Fensterklappe hinten fiel goldenes Licht heraus. Alex beschloß, erst einmal einen Blick ins Innere zu werfen, bevor er sich zu erkennen gab. Das tat er – und keuchte überrascht.
Der Pavillon war luxuriös möbliert, auf dem Tisch standen die Überreste eines Essens (anscheinend hatte es sich um den Versuch gehandelt, eine einheimische Flugechse à la Hähnchen Marengo zuzubereiten) und mehrere leere Flaschen. Vielleicht war das der Grund dafür, daß der recht kleine und untersetzte Hoka eine Hand in seinen reich verzierten Mantel steckte. Er stand an einem anderen Tisch, der mit Karten und Aufzeichnungen bedeckt war, um die herum vier spektakulär uniformierte Offiziere standen. Der Außerirdische am Kopf des Tisches, neben der Öllampe, war es, der Alex so schockierte.
Hätte es die grashüpferähnlichen Beine auf der Tischplatte ausgestreckt, hätte dieses Wesen dennoch nicht das Kinn eines Hokas erreichen können. Die beiden Arme waren gleichermaßen lang und knochig, der Körper nichts weiter als ein Klumpen, den auch die schwarze, silberverzierte Kleidung nicht eindrucksvoller machen konnte. Der grauhäutige und haarlose Kopf war die Karikatur eines Menschenkopfes – Fledermausohren, Knopfaugen, nadelspitze Zähne und eine zehn Zentimeter lange Nase, die zitterte, wenn er mit seiner Stimme sprach, die klang, als würde Kreide über eine Tafel kratzen.
Er redete in Englisch, der auf Hoka, wie auch im All, am weitesten verbreiteten Sprache. Vielleicht verstand er noch weniger Französisch als Alex, wohingegen Napoleon und sein Stab ausreichend Kontakte zur Menschheit gehabt hatten, bevor sie in ihre derzeitigen Rollen geschlüpft waren.
„Ihr müßt den Augenblick nützen, Sire“, drängte er. „Waghalsigkeit, immer Waghalsigkeit! Was haben wir und die spanischen Truppen schließlich bisher schon anderes getan als marschieren und wieder marschieren? Kein einziger Schuß ist gefallen. Wahnsinn! Wir müssen sie suchen, angreifen und schnellstmöglich vernichten. Andernfalls werden wir sie im Rücken haben, wenn die Engländer, die Nation der Ladenbesitzer, mit ihrer Flotte eintreffen.“
Der Hoka-Napoleon gestikulierte mit der freien Hand. „Aber wir wollen den Spaniern nicht weh tun“, sagte er. „Schließlich sollen sie unter meinem Cousin mir treu ergebene Untertanen werden. Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas, wie mein würdiger Vorgänger während des Rückzugs von Moskau sagte.“
„Nichtsdestotrotz“, zischte der Außerirdische, „müssen wir geeignete Schritte einleiten, andernfalls wir ein noch größeres Desaster als jenen Rückzug erleiden werden. Was nützt einem militärisches Genie, mein Imperator, wenn man es nicht einsetzt?“ Er wandte sich an einen anderen Hoka, dessen Fell mehr rot als golden war. „Marschall Ney, Ihr habt oft genug den
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