Analog 07
Brütete tagelang über diesem Dilemma. Stieg schließlich die Treppe hinab in der Hoffnung, etwas zu entdecken, was sich als Terrys letzter Freund erweisen konnte.
Fand auch etwas. Und zwar Waffen. Der Gedanke daran, was ich möglicherweise tun mußte, ließ mich fast erstarren, wußte jedoch, daß es von mir abhing, ob Zwilling Leiden erspart blieb. Ging also mechanisch daran, mir ein Gewehr auszusuchen. Fand Munition, lud die Waffe. Nahm sie mit nach oben und legte sie auf den Tisch. Wartete dann auf mein Stichwort.
Kannte die Symptome, verschiedene CoNELRAD-Ansager hatten ihre eigenen und die von Freunden beschrieben. Zum Syndrom gehörten sechs. Reihenfolge, in der sie auftraten, schien variabel zu sein, nicht jedoch ihre Anzahl beim Eintritt in die letzte Bewußtlosigkeit. Vier Symptome waren immer da, dann das fünfte: Zeitraum extremer Benommenheit – Anhaltspunkt für Beginn des letzten Verfalls. War wichtig, kritischen Zeitpunkt in bezug auf Terry genau abzupassen. Fürchtete verzweifelt, ich könnte zu lange warten und den armen, unfähigen Vogel zu einem Todeskampf in seinen letzten Tagen verdammen. Hatte fast noch mehr Angst davor, die Euthanasie zu früh durchzuführen und den zerschmetterten, blutbespritzten, kopflosen Körper des liebsten, fröhlichsten, treusten, bedingungslos liebenden Freundes vor Augen zu haben, den ich jemals hatte.
Das war die Aussicht, wenn ich zu früh handelte – hatte vor, in einer Entfernung von etwa sechs Metern zu stehen, ihm den Kopf wegzublasen, während er ganz versunken in Erdnußbutter war. Durchschlagskraft der Kugel bei dieser Entfernung war ausreichend, um praktisch sofortige Auflösung des ganzen Kopfes sowie einen unmittelbaren Tod zu garantieren, noch ehe die Möglichkeit des Begreifens oder des Schmerzes gegeben wäre. Würde mich lieber selbst in Stücke hauen oder in Öl kochen lassen, als meinen armen Kleinen leiden zu sehen und zu wissen, daß ich dafür verantwortlich bin.
Deshalb ist es wichtig, eigenen Zustand genau zu beurteilen, wenn die Krankheit eintritt.
Ist bis jetzt allerdings noch nicht geschehen. Warte schon drei Wochen darauf, bin fast verrückt vor Kummer, Angst, Besorgnis, Unentschlossenheit. Aber solche Gefühle stumpfen ab, wenn sie zu lange anhalten, verlieren schließlich ihre Wirkung auf ihr Opfer. Glaube, daß ich meine Seelenwäsche – vor allem jetzt, da das Tagebuch auf dem heutigen Stand ist – beenden könnte. Buch behauptet, Therapie erfordere einen guten nächtlichen Schlaf, nachdem man sich alles von der Seele geschrieben hat, am nächsten Morgen fühle man sich dann besser.
Okay. Morgen werde ich mich richtig einrichten …!
Guten Morgen, Nachwelt! Bin erfreut, sagen zu können, daß ich eine gute Nacht verbracht habe. Schlief wie eine schon Tote – zum erstenmal, seitdem der Ärger losging. Traumlos, falls ich mich hin und her gewälzt haben sollte, dann ohne es zu bemerken. Autor des psychologischen Buches scheint seine Sache verstanden zu haben. (Kann man von ihm auch erwarten: Die Titel hinter seinem Namen sind länger als der Name selbst.) Seelenwäsche war wirkungsvoll, jedenfalls hatte es den Anschein, fühlte mich beim Aufwachen wohl. Wunden sind zwar offensichtlich noch nicht geheilt, aber geschlossen. Ein Anfang – Schorf auf der Seele ist besser als blutende Wunden.
Situation unverändert, bin offensichtlich nicht glücklich über diese Tatsache (wenn ich es wäre, wüßte ich, daß ich aufgegeben hätte), konnte jedoch an diesem Vormittag Terry anschauen, ohne in Tränen auszubrechen, kann der Möglichkeit ins Auge sehen, meinen vogelhirnigen Zwilling ins Jenseits zu schicken, bevor mein eigener Zustand dies unmöglich macht. Gedanke ruft zwar durchaus verständliche Abneigung und die ernstgemeinte Hoffnung, sich als unnötig zu erweisen, hervor – aber nicht mehr.
Verzweiflung war weg, Verstand nicht länger eingeschlossen, in hoffnungslosen umgekehrt logarithmischen Spiralen sich windend, in alles überschattender Furcht vor dieser häßlichen Möglichkeit.
Habe anscheinend die praktische Einstellung wiedergefunden, die älter ist als Harmagedon, d. h. Sorgen als Vergeudung zu betrachten, als anti-produktiv, wenn sie nach Erkenntnis und Analyse des anstehenden Problems weiterbestehen und dabei die Grundlagen verdecken, die ausgedehnte Hilfsmittel bieten. Endloses Hirnzermartern ist keine konstruktive Übung, verringert höchstens die Wahrscheinlichkeit für günstigen Ausgang durch
Weitere Kostenlose Bücher