Analog 07
sehen? Ich auch. Habe schon daran gedacht, mich künftig Pauline zu nennen und aus dem Tagebuch einen Fortsetzungsroman zu machen. Oder vielleicht einfach zu Hause zu bleiben und zu handarbeiten. Während meiner Begräbniszeit scheint sich der Charakter meiner Nachbarschaft verändert zu haben, sie ist verfallen, hart geworden – im wahrsten Sinne des Wortes vor die Hunde gegangen. Kam aus dem Supermarkt und trat direkt in – nein, so nicht. Halte mich lieber an chronologische Reihenfolge, vergesse sonst sicherlich etwas. Könnte eines Tages sogar wichtig sein. Also:
Erwachte vollständig erholt – wieder einmal (werde langsam dieser Jo-Jo-Psychologie müde). Wollte den ganzen Tag draußen bleiben, stellte mir also eine kleine Ausrüstung und Proviant zusammen: Kochgeschirr, Dörrfleisch, getrocknete Aprikosen, eine Tüte mit Vogelfutter, Hammer, Brechstange (für den Fall, daß eine gewaltsame Untersuchung für irgend etwas angezeigt war). Stieg die Treppe hinauf und ging ins Freie.
Behielt mit Willenskraft mein Frühstück drinnen, bis ich mich an den Geruch gewöhnt hatte.
Nahm das Fahrrad aus der Garage, fuhr die Straße hinunter (erste Fahrt seit drei Monaten, wurde fast taub von dem Begeisterungsgeschrei meines Zwillings). Nach dreimonatiger Vernachlässigung hatten die Reifen etwas zu wenig Luft (Zehn-Gang-Rad braucht ziemlich viel), hielt bei Ollys Tankstelle an und pumpte die Reifen auf. Und staunte: Geräte waren noch in Betrieb, Kompressor, Pumpen etc. arbeiteten noch – selbst die Glocke bimmelte noch, als ich am Haus vorbeifuhr.
Wollte meinen Weg fortsetzen, hielt jedoch wieder an – hatte eine Idee. Kehrte um, leerte die Lufttanks, wie ich es Big Olly hatte tun sehen. Hatte mir erklärt: Kompression, Expansion von Luft in Tanks „erzeuge Wasser“ durch Kondensation, Wasseransammlung schlecht für die Geräte. Fand, daß ich schon anfing, in Begriffen zu denken, alles möglicherweise für zukünftigen Bedarf Nützliche zu erhalten. (Hoffe, entwickelt sich nicht zu ausgewachsener Neurose; die ganze Welt zu erhalten dürfte meine Pläne erheblich behindern.)
Machte mich daran, die Hilfsmittel hier oben zu prüfen: Sah mir Gemüseläden, Eisenwaren- und Sämerei-Geschäfte an, fuhr zum Bahndepot, zu den Getreidespeichern. Fand überall Vorräte – höchst befriedigende Resultate. Anscheinend waren die Geschäfte nach dem Angriff wie gewöhnlich weitergeführt worden, bis die ersten Symptome auftraten. Keine Anzeichen von Plünderung zu entdecken, vermutlich waren alle Leute zu krank gewesen, um daran zu denken.
Und da es noch immer Strom gibt, halten die Gefrierräume in den Schlachthöfen die Temperatur: Zur Verfügung stehende Menge Fleisch wahrscheinlich dreimal so groß wie im Schutzraum. Wenn die Zustände in den Nachbarstädten ähnlich sind, ist mein Bedarf an allem zweifellos mein Leben lang gedeckt – oder wenigstens so lange, bis der Strom ausfällt. (Bin persönlich irgendwie überrascht, daß es noch Strom gibt – sommerliche Gewitterstürme zerstören Leitungen oder Transformatoren normalerweise zwei-, dreimal im Jahr – und erst im Winter …! Ein guter Schneesturm bedeutet tagelang Kerzenbeleuchtung – der wichtigste Grund, warum auch neue Häuser, ausgestattet mit den modernsten Heizungsanlagen, alle noch einen altmodischen Ofen nach Franklinart in den wichtigsten Zimmern und gewöhnlich noch mehrere Kamine haben. Glaube nicht, daß ich im Frühjahr noch Strom habe.)
O H , VERDAMMT ! Verzeihung, der Ausdruck ist nicht gerade damenhaft – aber mir fiel gerade ein: Jeder einzelne Farmbrun nen im Staate arbeitete garantiert elektrisch. Ich hatte Probleme …!
Na ja, eigentlich nur ein weiteres Problem, mit dem sich mein Unterbewußtsein herumschlagen kann. Kann im Moment nichts daran ändern, muß aber mal ernsthaft darüber nachdenken.
Zurück zur Chronologie: Kam gegen 10 Uhr aus dem Supermarkt, klappte den Ständer ein und wollte gerade mein Bein über das Rad schwingen. Plötzlich kreischte Terry, krallte sich so in meiner Schulter fest, daß ich regelrecht spürte, wie sich seine Krallen in der Mitte wieder trafen. Ließ das Rad fallen, drehte mich um.
Sechs Hunde: groß, abgemagert, hungrig, deutlich erkennbar Ausnahmen von der Kategorie „Bester Freund des Menschen“.
Hatte keine Zeit, mir eine Strategie zu überlegen. Im gleichen Augenblick, als sie entdeckt wurde, kam die Meute aus ihrem Hinterhalt und griff an. Hatte kaum Zeit, meinen Zwilling in die Luft zu
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