Anansi Boys
Geschichten. Alle Geschichten, die es gab, waren Tiger-Geschichten, alle Lieder waren TigerLieder, und ich könnte sagen, dass alle Witze Tiger-Witze waren, nur dass damals, in d e r Tiger-Zeit, gar keine Witze erzählt w u rden. In Tiger-Gesc h ichten kommt es einzig und allein darauf an, wie stark deine Zähne sind, wie du jagst und wie du tötest, ‘s gibt nichts Sanftes in TigerGeschichten, keine Raffinesse und keinen Frieden.«
Maeve versuchte sich vorzu s tellen, was für Geschichten eine große Ka t ze w o hl erzä h len m o chte. »Dann waren sie also gewalttätig?«
»Manchmal. Aber haupts ä chlich wa r e n sie e i nfach schlimm. Als all die Geschichten und all die Lieder Tiger gehörten, das war eine schlimme Zeit für alle. Menschen nehmen die Gestalt der Geschichten und der Lieder an, die sie u m geben, vor allem dann, wenn sie keine eigenen Lieder haben. Und in Tiger-Zeiten waren alle Lieder düster. Sie begannen in Tränen und e ndeten in Blut, und es waren die einzigen Ge s c hichten, die die Menschen dieser Welt kannten.
Aber dann kommt Anansi des Wegs. Ich schätze ma l, über Anansi wissen Sie Bescheid …«
»Ich glaube nicht«, s a gte Ma eve.
»Tja, wenn ich jetzt anfangen würde, Ihnen zu erzählen, wie schlau und gut aussehend, wie charmant und wie gerissen Anansi war, dann wäre ich nächsten Donnerstag noch nicht fert i g«, set z te der Alte an.
»Dann lassen Sie’s doch lieb e r«, sagte M aeve. »Wir glauben es auch so. Und was h a t dieser Anansi gemacht?«
»Nun, Anansi hat die Geschichten für sich gewonnen, gewonnen? Nein. Er hat sie sich verdient. Er na h m sie Tiger weg und sorgte dafür, d a ss Tiger d i e wirkliche Welt nicht me hr betreten konnte. Nicht leibhaf ti g . Die Geschichten, die die Men s chen sich erzählten, wurden AnansiGeschichten. Das geschah vor, na, zehntausend, fünfzehntausend Jahren.
Also, in den Anansi-Geschichten, da steckt Witz, Täuschung, We isheit. Jetzt denken die Menschen auf der ganzen Welt nicht me hr nur ans J a gen und G e jagtwerden. Jetzt fangen sie an, sich Lösungen für i h re Probleme auszudenken – manchmal geraten sie beim De n k en auch in noch größere Probleme. Natürlich müssen sie nach wie vor etwas in den Bauch bekommen, a b er je t z t überlegen sie, w i e man das vielleicht ohne Arbeit anstellen könnte und da s ist nä m lich der Punkt, wo die Leute anfangen, ihren Kopf zu gebrauchen. Manche glauben, die ersten Werkzeu g e wä r e n Waffen gewesen, aber das ist g a nz verkehrt. Als Erstes haben die Menschen sich die nützlichen Werkzeuge ausgedacht. Der Krückstock ko mm t vor dem Knüppel immer. Denn jetzt erzählen die Leute sich Anansi-Geschichten, und sie machen sich Gedank e n darüber, wie man einen Kuss bekommt, und überhaupt, wie man etwas bekom m t , ohne was dafür zu geben, ind e m man einfach schlauer oder witziger ist als andere. Da h a ben sie erst angefangen, die Welt zu bauen.«
»Das ist doch nur eine Volkssage«, sagte sie. »Die Menschen haben sich von Anfang an Geschichten ausgedacht.«
»Ändert das irgendetwas?«, f r agte der alte Mann. »Ja, kann schon sein, dass Anansi nur ein Typ aus einer Geschichte ist, die die Menschen schon in ihrer Frühzeit, in Afrika, erfunden haben, vielleicht war’s ein Junge m it schwarzen Fliegen am Bein, der seine Krücken in d e n Matsch gebohrt und sich eine verrückte Geschichte über einen Menschen aus Teer a u sgedacht hat. Ändert das irgendetwa s ? D i e Me nschen sprechen a u f die Ge s c hichten an. Sie erzählen sie s e lber weiter. Die Geschichten verbreiten sich, und während die Menschen sie erzählen, verändern die Geschichten die Erzä h ler. Denn all diejenigen, die bisher immer nur daran gedacht haben, den Löwen zu entgehen und sich vom Fluss f e rnzuhalten, da m it sie keine leichte Beute für die Krokodile werden, die fangen jetzt an, von einem ganz anderen Leben zu träumen. Die Welt mag noch dieselbe sein, aber die T a pete hat sich verändert. Ja? Die Menschen haben immer noch dieselbe Geschichte, in der sie geboren werden, all e s Mögliche tun und irgendwann w i eder sterben, aber j e tzt hat die Geschich t e ei n e andere Bedeutung als früher.«
»Si e wolle n darau f hinaus , das s di e Wel t vo r de n Anan siGeschich t e n ein ba r b arischer Ort wa r ? «
»Ja, so ungefähr.«
Sie nahm die Mitteilung in si c h auf. »Na ja«, sagte sie fröhlich, »es ist sicherlich eine gute Sache, dass die Geschichten jetzt Anansi
Weitere Kostenlose Bücher