Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
weil irgendwann einmal ihr Talent und ihre Kunst von uns nicht angenommen worden sind. Das ist ungeheuerlich. Und dies ist der Preis. Deshalb ist mir so übel.«
Denissow strich Nastja über den Kopf und hielt dann plötzlich inne, als er den Schmerz spürte, der diese gequälte Frau durchdrang.
»Armes Mädchen«, flüsterte er. »Wo hab’ ich dich nur hineingezogen! Aber niemand außer dir hätte auf Ismailow kommen können. Nur du hast sein seltsames Verhalten bemerkt. Nur dir hat er seinen Film über den Musiker und seine Probleme gezeigt. Und nur du konntest ihn mit dem Drehbuch, das uns Swetlana gegeben hat, in Verbindung bringen.«
»Ja«, flüsterte Nastja ebenso leise, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte, »nur ich.«
Kapitel 12
TAG DREIZEHN
Schon wieder eine Nacht, die Nastja fast schlaflos zubrachte. Der Schrecken der gestrigen Ereignisse erlaubte ihr nicht, sich zu konzentrieren. Sie wollte ihre Gedanken darauf richten, wer dieser geheimnisvolle Makarow war und wo sie ihn suchen sollte, aber statt dessen dachte sie an Damir und seine Filme, an die unglückliche Swetlana, an den vom Kummer zerstörten Wlad, an den kranken Menschen ohne Papiere, der das Mädchen getötet hatte und der wahrscheinlich einer von unzähligen Auftraggebern und Konsumenten der Schöpfungen von Damir und seinem Team war. Aber vielleicht ist Damir auch Makarow? Oder doch Usdetschkin? Usdetschkin paßt besser, er ist für die Sicherheit zuständig. Aber wer weiß? Nastja war sich nur ganz sicher, daß Makarow nicht mit Semjon identisch war, der stand zu sehr in der Öffentlichkeit. Obwohl gerade das häufig vorkommt – darüber hat schon Edgar Allan Poe geschrieben: Was man verbergen will, stellt man an einen sichtbaren Ort. Außerdem war Semjons Nachname nicht bekannt, und es wäre doch zum Lachen, wenn sich herausstellte, daß er laut Paß Semjon Makarow hieße.
Wofür brauchen sie Makarow, überlegte Nastja und fixierte die Gardinen. Die organisatorischen Aufgaben leitet Semjon, das ergab sich eindeutig aus Swetlanas Angaben. Die künstlerische Seite war Ismailows Sache, die Sicherheit Usdetschkins, alle anderen Funktionen waren zweitrangig und konnten nicht vom Chef ausgeführt werden. Vielleicht steckte auch kein Mensch dahinter? Oder der Name bezeichnete einen Anführer, eine Person, die Entscheidungen traf? Damit man sagen konnte: ›Ich frage Makarow‹, ›Je nachdem, wie Makarow entscheidet‹, ›Makarow hat angeordnet. . . ‹, obwohl das in jedem konkreten Fall sowohl Damir sein konnte als auch Kotik oder Semjon, und weiß Gott noch wer. Weder Swetlana noch Wlad hatten außer Semjon noch jemand gesehen. Bei den Aufnahmen hätten sie zweifellos auch Damir und Kotik und noch jemand kennengelernt, der die Kamera und das Licht bediente. Aber danach hätten sie schon niemand mehr identifizieren und keinerlei Aussagen machen können. Die Auftraggeber mußten natürlich sowohl Damir als auch Kotik und Semjon kennen, aber wo waren sie, diese Auftraggeber! Es gab einen, und der war nicht zurechnungsfähig, man konnte auf seine Worte nichts geben, er war derzeit nicht imstande, einen zusammenhängenden Satz zu sagen. Eine Sackgasse. Eine ausweglose Sackgasse. Und kein einziger Hinweis, keine Vermutung. Diejenigen, die die Täter sein mußten, konnte keiner der Betroffenen identifizieren. Von der Person, die Wlad identifizieren könnte, war weder Name noch Aufenthaltsort bekannt. Eine ließ sich vielleicht in Moskau finden – aber das konnte sich Monate hinziehen . . . Bis man in Moskau Daten über die Freunde und Bekannten von Alferow gesammelt und überprüft hatte, ob nicht einer von ihnen kriminelle Kontakte hatte . . . Und diese ganze Feinarbeit konnte völlig ins Leere laufen, denn Alferow war Zeuge eines Mordes geworden, und allein das reichte aus, um ihn für gefährlich zu halten. Aber eine Antwort aus Moskau war trotzdem wichtig: Denn wenn jemand ermordet worden war, aber seine Leiche nicht im Sanatorium entdeckt wurde, mußte man ihn suchen. Von den Bewohnern der STADT war niemand verschwunden, das war schon geklärt. Und wenn niemand ermordet worden war, sondern nur verschleppt? Dann war wichtig, wer das getan hatte und warum er so erschrak, als Kolja ihn bemerkte. Nein, wie immer sie es drehte und wendete, sie mußte abwarten. Anders kam Nastja nicht an Semjon heran. Freilich bestand die Hoffnung, daß sich Damir oder Kotik mit ihm trafen, aber das war die Angelegenheit von Starkow und
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