Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
einmal das in der Dunkelheit aufblitzende scharf geschliffene Küchenmesser. Sie hörte nur die entsetzte Stimme Wlads:
»S we-e-e-t-l-a-a-na-a-a-a!!!«
Dann brannte ihr Hals, und es wurde ihr ganz leicht zumute. Sie wollte schlafen und langsam auf die Knie niedersinken, sich gleich hier auf die Seite legen, auf den kalten, schneebedeckten Boden, und einschlafen. Und das tat sie auch.
* * *
»Fahren Sie mich zu Eduard Petrowitsch«, sagte Nastja müde.
Sie setzte sich mit Starkow ins Auto, ohne sich umzudrehen und ohne zu wissen, ob ihnen die anderen folgten. Es war ihr nicht nur speiübel. Sie hätte sich am liebsten aufgehängt.
Nachdem man Marzew, der außer sich war, in die Eingangshalle gestoßen hatte und nachdem man den schluchzenden Wlad kaum von Swetlanas Leiche hatte trennen können, begriff Nastja, daß es an ihr war, eine Entscheidung zu fällen, und zwar so schnell wie möglich. Nach Swetlanas Erzählung war fast alles klar. Mit Wlad zu sprechen war unmöglich, man nahm ihm nur die Kassette mit der Musikaufnahme ab und übergab sie Nastja. Sie brauchte diese Musik nicht anzuhören, sie hatte schon aufgrund der Beschreibung des Drehbuchs verstanden, wer der Komponist war. Aber anhören wollte sie sie schon.
Denissow empfing Nastja an der Einfahrt, er wußte schon alles von Starkow, der ihn angerufen hatte. Schweigend kamen sie oben an und schweigend gingen sie in Eduard Petrowitschs Arbeitszimmer.
»Was darf ich Ihnen anbieten, Anastasija?« fragte der Hausherr besorgt.
»Möglichst starken Kaffee. Und was zu trinken«, murmelte sie betäubt.
Nachdem sie einige Schlucke von dem Kaffee getrunken hatte, den Alan gebracht hatte, sagte sie schon etwas kräftiger und ruhiger:
»Eduard Petrowitsch, wir müssen eine wichtige Entscheidung treffen. Was sollen wir mit der Leiche von Swetlana Kolomiez tun? Anatolij Wladimirowitsch hat die Polizei nicht an die Tatstelle geholt, er hat seine Leute dort gelassen, um die Blutspuren zu beseitigen. Mir ist klar, wenn wir die Sache an die Öffentlichkeit bringen, dann verschwinden die, die wir suchen, sofort. Es ist schon zuviel passiert: Das Mädchen weiß, wer sie sind, und wer weiß, wem sie schon davon hat erzählen können; der Verrückte, der eindeutig auf dieses Mädchen aus war und es abgepaßt hat, denn in seiner Jacke wurde das Foto einer jungen Frau gefunden – allem Anschein nach seine Mutter –, die haargenau dasselbe Kleid anhat wie Swetlana. Aber ich verstehe nicht, wie wir den Mord an dem Mädchen verbergen sollen, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Wir haben deshalb keine Wahl. Entweder Sie lassen Swetlanas Leiche ins Krankenhaus bringen oder direkt ins Leichenschauhaus, Sie lassen es Ihre Freunde von der Polizei wissen, setzen sie von den tatsächlichen Ereignissen in Kenntnis und erlauben ihnen zu tun, was sie für richtig halten, oder Sie lassen mich gehen. Eben erst wurde vor meinen Augen die Leiche von der Tatstelle weggeschafft, und der Schuldige wird in einem Privathaus festgehalten. Als Mitarbeiterin der Polizei zerreißt es mir das Herz. Was machen Sie mit mir? Glauben Sie, daß ich eine Maschine zur Lösung von kriminellen Aufgaben bin und es mir egal ist, was um mich herum passiert, während ich die Aufgabe bearbeite?«
Ihre Hände begannen zu zittern, und sie mußte die Tasse auf den Tisch stellen.
»Verzeihen Sie«, sagte Denissow leise, »ich konnte nicht ahnen, daß es um so etwas geht. Ich kann es nicht einmal aussprechen. Wenn wir gewußt hätten, daß psychisch kranke Menschen an der Sache beteiligt sein könnten, wäre die Wache entsprechend instruiert worden und die Tragödie wäre nicht geschehen. Aber die Aufgabe der Wache war es aufzupassen, daß kein Fremder Sie zusammen mit meinen Leuten sieht. Es tut mir leid. Also, was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
»Das hängt davon ab, was Sie wissen wollen. Wenn Sie nur die Personen brauchen, die sich in der ›Doline‹ aufhalten, kann ich Ihnen die Namen sofort geben. Wenn Sie der sagenumwobene Makarow interessiert, muß ich noch etwas nachdenken, zumindest bis morgen. Wenn Sie sich für die anderen interessieren, dann lassen Sie mich gehen. Damit hab’ ich nichts zu tun.«
»Warum, Anastasija?«
»Ich habe schon gesagt, das hängt davon ab, was Sie wissen wollen. Ich weiß, wie diese Bande arbeitet, oder ich kann es mir zumindest vorstellen. Neben einem gewissen Makarow gehören dazu der Filmregisseur Damir Ismailow, der Masseur des Sanatoriums, Konstantin
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