Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Genie?«
»Igor.«
»Viel Erfolg, Igor. Mach’s gut!«
* * *
Nastja wartete auf den Telefonanruf und überdachte nochmals ihre Analyse, in die sie die neue Information eingebaut hatte. Die ganze Nacht hatte sie überlegt, war mühsam alle im Sanatorium verbrachten Tage durchgegangen und hatte sich im Kopf die Signale zurückgeholt, die sie von ihrem aufmerksamen Bewußtsein erhalten und die sie doch erfolgreich ignoriert hatte. Vieles war nach der Begegnung mit Denissow an seinen Platz gerückt, vieles hatte sie neu bewerten, neu interpretieren und eine neue Zuordnung dafür finden müssen. Erstaunlich, wie viele falsche Schlüsse sie in dieser kurzen Zeit hatte ziehen können. Sie hatte ihre eigenen Rekorde gebrochen! Allein der Elektriker Schachnowitsch . . . Freilich hatte auch der sich geirrt, wie sich herausgestellt hatte.
Zum Gespräch mit dem vor dem Brand geflüchteten Mädchen und seinem Begleiter war sie noch nicht bereit. Um Swetlana und Wlad zum Reden zu bringen, mußte man die Widersprüche aufdecken, sie einer offensichtlichen Lüge überführen, dann konnte man versuchen, sie auszuquetschen. Einen Widerspruch hatte Nastja schon entdeckt, aber im Gespräch mit Swetlana war er nicht hilfreich: Es war durchaus möglich, daß das Mädchen davon einfach nichts wußte. Die Lösung fiel Nastja in der Nacht ein, und nach dem Frühstück überprüfte sie sie nochmals. Vorläufig paßte alles zusammen.
Am frühen Morgen kam Schachnowitsch mit dem Telefonapparat zu ihr ins Zimmer.
»Sie haben mich vergeblich nicht kennenlernen wollen«, scherzte er. »Jetzt ist es doch nötig geworden. – Den Ton habe ich völlig weggenommen, sie haben doch die Angewohnheit, immer die Balkontür zu öffnen. Anstelle des Tons blinkt ein rotes Lämpchen, vergessen Sie nicht, hinzusehen.«
»Hören Sie, Sie wissen so viel von mir, daß mir ganz anders wird«, scherzte sie beiläufig. »Sie haben mich schon bei unserer ersten Bekanntschaft damit verblüfft. Sie haben sogar meine Gewohnheiten studiert.«
»Natürlich«, antwortete Schachnowitsch ernst und lächelte dann breit und ausgelassen. »Ich hatte Sie doch in erster Linie verdächtigt. Wieviel Mühe habe ich mir gemacht, um einen Zugang zu Ihnen zu finden, und alles vergeblich. Aber kaum ist der alte Ed von Burgund gekommen, hat er Sie augenblicklich überredet.«
»Verzeihung, welcher Ed?«
»Ed von Burgund, einer der Nachkommen von Ludwig dem Heiligen, so nennen wir Eduard Petrowitsch wegen seiner Augen. Das wär’s, ich gehe. Vergessen Sie nicht, auf das Lämpchen zu achten.«
»Warten Sie, Shenja, ich möchte, daß Sie etwas überprüfen. Irgendwo im Behandlungstrakt muß es ein Zimmer mit einem Spiegelfenster geben, das auf das Schwimmbad hinausgeht.«
»Wie kommen Sie darauf?« wunderte sich Schachnowitsch.
»Nun . . . das ist kompliziert zu erklären. Aber ein Zimmer mit so einem Fenster muß es geben. Sonst müßte ich mich wirklich sehr irren.«
»Gut, ich sehe nach. Also eine Wand, die an das Schwimmbad grenzt?«
»Ja. Das Fenster kann sehr klein sein, schauen Sie genau nach.«
Als der Elektriker weg war, dachte Nastja an diesen unglückseligen Tag im Schwimmbad zurück, als sie weich und weiblich sein wollte und sich daraufhin beinahe in Damir verliebt hatte. Gut, daß sie rechtzeitig seine Lüge bemerkt und sich wieder abgekühlt hatte . . . Sie geht also am Beckenrand entlang, greift nach dem Griff der Leiter, hebt den Kopf, schaut auf die Uhr, die weit oben an der Decke hängt und blinzelt wegen der Sonnenstrahlen, die ihr ins Auge fallen. Was kann auf der Fliesen wand des Schwimmbads glänzen? Ja, völlig klar, das muß ein Spiegel sein. Aber wozu braucht man einen Spiegel in dieser Höhe? Wer wird da hineinschauen? Wer sieht vielmehr durch ihn hindurch?
Als Nastja von der Behandlung zurückkam, traf sie auf dem Flur, der den Wohntrakt mit dem Behandlungstrakt verband, auf Schachnowitsch.
»Sie hatten recht, ich hab’ es gefunden«, sagte er kurz, ohne den Kopf zu wenden oder stehenzubleiben: Um sie herum waren viele Menschen.
Nastja bedauerte, daß sie ihn am Morgen nicht um einen weiteren Gefallen gebeten hatte. Das nächste Mal, beschloß sie.
Das rote Lämpchen leuchtete auf, und Nastja nahm den Hörer.
»Ich bin noch nicht für ein Gespräch bereit. Können Sie sie ins Schwimmbad bringen? . . . Gut . . . Und richten Sie bitte Shenja aus, daß ich ihn brauche . . . Um acht? Das paßt mir. Alles Gute.«
Sie zog den Stecker aus der
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