Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
Fürsorge und Strenge der Mutter war und sie dafür haßte. Marzew schien es, als ob sein Gehirn aufweichen würde, die Form änderte und sich in zwei Teile teilte: Der kleinere Teil würde ihm gehören, und der andere, der Löwenanteil, würde Jurotschkas Anteil sein. Mein Gott, wie elend war ihm zumute!
Er hörte auf, seine Beschwörungen zu wiederholen und kniff die Augen fest zusammen. In diesem Moment wurde sein Kopf von einem hysterischen Schrei erfüllt: Ich hasse sie! Ich will, daß sie stirbt! Sie soll sterben! Sofort! Sie soll sterben!
Marzew sprang von der Couch und jagte durch die Wohnung. Gedanken aus Marzews Gehirnhälfte vermischten sich mit Jurotschkas Gedanken. Warum haben sie den Film nicht gemacht? Sie haben es doch versprochen . . .
Ich hasse sie! Sie soll sterben! . . .
Wo ist dieses Mädchen? Ich muß sie finden, koste es, was es wolle. . .
Sie schimpft mich sogar für einen Zweier, sie hat an allem etwas auszusetzen . . .
. . . finden und dahin bringen, sie sollen sofort. . .
Ohne sie wird es mir besser gehen. Es soll sie nicht geben!
. . . die Medizin machen, bevor etwas geschieht. . .
Es soll sie überhaupt niemals geben! Ich bringe sie um!
. . . bevor das Schlimmste geschieht, bevor ich noch jemand töte. . .
Ich will, daß sie stirbt!
. . . besser ich töte dieses Mädchen, niemand wird es erfahren, ich muß sie töten . . .
. . . Ich töte sie!
Zwei Stimmen flossen in einen Schrei zusammen, einen lauten, fordernden Schrei. Marzew hielt ein, er war von kaltem Schweiß bedeckt. Er wußte, was er zu tun hatte. Gegen den Anfall mußte um jeden Preis etwas unternommen werden, sonst war alles aus. Und dafür reichte es, die Mutter zu töten. Oder jemand, der ihr sehr ähnlich sah. In der STADT gab es eine Frau, deren Tod Erleichterung bringen würde. Oh, Marzew hatte sie mit eigenen Augen gesehen, man hatte sie ihm zwischen einigen Frauen gezeigt, die zu Aufnahmen eingeladen waren. Er mußte sie nur finden. Zuerst mußte er sie in dem Pavillon suchen, wo die beiden ersten Filme für ihn aufgenommen worden waren. Alles war ganz einfach . . .
* * *
Der Bürgermeister legte verwirrt den Hörer auf. Er hätte nie vermutet, daß man seinen Vorschlag abweisen würde. Das heißt, er bekam keine direkte Absage, aber weder beim Fernsehen noch beim Radio, oder bei der Lokalzeitung, der er vorgeschlagen hatte, ein Interview mit dem Moskauer Kripobeamten zu machen, hatte man sich zustimmend geäußert, und überall waren sofort unüberwindliche Schwierigkeiten aufgetaucht, die die Verwirklichung seiner Pläne unmöglich machten. Der Bürgermeister kam sich wie ein Vollidiot vor, weil er anfangs wirklich an diese Schwierigkeiten geglaubt hatte und voll Elan begonnen hatte, Lösungsvorschläge zu machen. Aber je länger er das versuchte, desto klarer wurde ihm, daß es sinnlos war.
Der Bürgermeister war klug, aber leichtgläubig. Er glich einem Elefanten, der eine Kränkung lange hinnimmt, ohne eine böse Absicht zu vermuten, dann aber in Rage kommt und alles in Stücke schlägt. Die peinliche Geschichte mit seiner Idee, eine Fernsehsendung zu machen oder zumindest eine Publikation über die Kriminalität in der STADT, wendete sich in seinem Kopf zu einem schrecklichen Verdacht. Er ließ Lew Michailowitsch Repkin kommen, den Vorsitzenden der Kommission zur Koordination der Rechtsschutzorgane der STADT.
»Lew Michailowitsch, kann ich mich eigentlich mit jedem beliebigen Bürger der Stadt zu einem privaten Gespräch treffen?«
»Natürlich.«
»Und mit einem Fremden, der sich in der Stadt aufhält?«
»Was für eine seltsame Frage? Wir sind in einem freien Land, es gibt kein Kontaktverbot. Meinen Sie jemand bestimmten?«
»Ja, Lew Michailowitsch. Ich möchte mich mit einem Mitarbeiter der Moskauer Kriminalpolizei treffen, der sich hier auf Dienstreise befindet. Können Sie das organisieren?«
»Wozu?«
»Bin ich vielleicht verpflichtet, Ihnen das zu erklären?« Der Bürgermeister wurde wütend. »Sie haben mir eben gesagt, daß es keinerlei Kontaktverbot gibt. Und ich bitte Sie, Lew Michailowitsch, diesen Menschen zu finden und ein Treffen mit ihm zu organisieren.«
»Warum wenden Sie sich nicht an Ihren Schwager? Für ihn ist das wesentlich einfacher.«
»Weil mein Schwager aus mir unerfindlichen Gründen nicht will, daß dieses Treffen zustande kommt. Und ich möchte herausfinden, was das für Gründe sind.«
»Sehen Sie«, sagte Repkin unschlüssig, »die Polizeidirektion hat es
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