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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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›WER‹ sollte nach Moskau gehen, aber die Fragen auf dem Blatt ›WAS‹ sollte man hier in der STADT zu beantworten versuchen.
    Aber vielleicht vergeudete sie ihre Zeit? Wie war sie auf die Idee gekommen, daß dieser Mord mit der ganzen Sache zu tun hatte? Vor einiger Zeit gab es noch so viele Rätsel, daß man nolens volens eins mit dem anderen in Zusammenhang bringen mußte. Aber jetzt, wo ein Teil der Rätsel sich aufgeklärt hatte, unter anderem die Rolle des Elektrikers bei dieser unglaublichen Wette, wußte sie nicht mehr, ob sie auf der richtigen Spur war.
    Beim Nachdenken kam ihr plötzlich Jura Korotkow und das Gerücht, das er über die rätselhafte Übersetzerin verbreitet hatte, in den Sinn. Das Gerücht war ein Schuß vor den Bug gewesen. Aber jetzt, wo sie es nicht erwartet hatte, kam es plötzlich wie gerufen. Wer für Denissow arbeitet, für den ist es nur gut, wenn er möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht und kein Mitarbeiter der Kriminalpolizei ist, sondern ein stilles Mäuschen – Übersetzerin eben. Aber die Alte, die hatte es in sich! Sie hatte also Korotkow geglaubt. Nastja hatte darauf gewartet, daß Regina Arkadjewna sofort nach Juras Abreise und dem Bekanntwerden der Aufklärung des Mordfalls selbst zu ihr kommen würde, um ihr zu erzählen, daß Jura überhaupt nicht ihr Neffe sei, sondern ein Detektiv aus Moskau, der sie, Nastjenka, im Verdacht hatte, mit der Ermordung dieses armen Kerls in Zusammenhang zu stehen, und wie froh sie sei, daß sich jeder Verdacht zerstreut hatte, und daß es ihr so unangenehm war, ihre Nachbarin zu betrügen und noch etwas in dieser Art. Aber Regina war nicht gekommen, und das kränkte Nastja. Nicht sehr, aber doch ein wenig. So oder so hätte man das Gerücht auf die eine oder andere Weise bestätigen müssen, denn Regina hatte sich als Plaudertasche erwiesen; zugegeben – durch eine Provokation der vorher unterrichteten Krankenschwester Lena, die sich mit ihrer harmlosen Lüge bei dem dankbaren Korotkow drei Kilo Äpfel verdient hatte. Und wenn jetzt die Nachbarin kommen sollte, um wegen des falschen Neffen ein Geständnis abzulegen, mußte Nastja ein entsprechendes Gesicht machen und durfte auf keinen Fall irgend etwas zugeben, sonst plauderte Regina auch das aus. Wenn es Lena gelungen war, ihre Zunge zu lösen, gelang das auch anderen. Also war es sogar besser, daß Regina Arkadjewna nicht bestrebt war, ihre Beziehung zu klären. Aber trotzdem war es kränkend: Sie, Nastjenka, sind klug und intelligent, Sie können Fremdsprachen, lassen Sie uns Freunde sein, ich mache Sie mit meinem Lieblingsschüler bekannt, der ist sehr talentiert. Aber auf einmal tauchte ein Polizist auf und warf einen Schatten auf sie – und bitte sehr, Regina war bereit, alles zu glauben, sogar das Schlimmste. Ihr sollte es recht sein.
    * * *
    An diesem Sonntag, dem 31. Oktober, fiel in der STADT der erste Schnee. Die Erde, die von einigen Frosttagen festgefroren war, nahm ihn dankbar auf und sog ihn nicht gierig ein, um auf der Oberfläche nur noch grauen glucksenden Matsch zu hinterlassen, sondern bewahrte ihn behutsam und zärtlich und erlaubte den Schneeflocken, sich in gleichmäßigen Schichten niederzulassen und festlich in der Sonne zu leuchten. Schön war es in der STADT, aber Marzew bemerkte es nicht. Alles war schwarz, in seiner Seele und vor seinen Augen.
    Seit dem frühen Morgen war er um das Haus gestreift, in dem sich der Pavillon befand, und er hatte gehofft, ein bekanntes Gesicht zu treffen. Er kannte Damir, den schönen dunkeläugigen Regisseur, einen mürrischen Typ mit einem Pferdegesicht namens Semjon und den Jungen, der bei den Dreharbeiten geholfen hatte. Aber der Junge zählte nicht. Marzew hatte ihn nur zweimal gesehen – bei den Aufnahmen zu den ersten beiden Filmen. Seit diesen Dreharbeiten waren beinahe zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit konnte der Helfer, dessen Namen er nicht einmal kannte, auch gewechselt haben.
    Bis fünf Uhr abends erschien niemand in der Nähe des Hauses. Jurotschkas Bewußtseinsanteil winselte und zerrte ihn am Ärmel: Ist es bald soweit? Wann denn? Wo sind sie alle? Mit ›seiner‹ Hirnhälfte schätzte Marzew ab, wo er seine Filmleute zu suchen hatte. Wo sie waren, dort mußte auch das Mädchen sein . . . Er machte sich keine Gedanken darüber, warum er so fest davon überzeugt war. Er wußte nicht genau, was und wie er es tun würde, falls er sie erblickte. All diese Kleinigkeiten schienen ihm nebensächlich.

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