Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Gespenst erschienen ist. Warum sollten wir ihm unsere Hilflosigkeit zeigen? Wenn wir so weitermachen, schickt er uns früher oder später zum Teufel, und dann ade Valuta. Ist dir so etwas noch nie in den Sinn gekommen?«
Igor betrachtete Kostyrja mit Interesse. Sieh einer an, dachte er, der ist ja ganz schön von sich eingenommen. Will gut dastehen vor dem Chef. Auf so unerwartete Weise offenbaren sich die Menschen. Dabei kennen wir uns schon so lange. Eigentlich ist er nicht besser und nicht schlechter als andere, ein durchschnittlicher Schwachkopf, durchschnittlich zuverlässig, durchschnittlich vorsichtig, obwohl, nein, was die Vorsicht betrifft, davon hat er mehr als andere, aber das schadet der Sache nicht. Nie hat er sich aufgespielt, hat nie versucht, den Kopf zu weit aus dem Fenster zu strecken, und jetzt. . . er hat also auch seinen Stolz! Oder ist es einfach nur Habgier und die Angst, seine Einnahmequelle zu verlieren? Am ehesten wohl das zweite. Warum begreifen die Leute nicht, daß man sich seine Eitelkeiten verkneifen muß, wenn es um die Sache geht!
»Was meinst du, Surik?« Jerochin wandte sich an den völlig in sich zusammengesunkenen Freund.
Udunjan sah Igor mit wunden Augen an, die sein Gesicht nun nicht mehr mit dem Licht engelhafter Unschuld erleuchteten, sondern sich in zwei schlammige Tümpel mit dunklem, stehendem Wasser verwandelt hatten.
»Wir müssen zu Artjom fahren«, sagte er nur.
NEUNTES KAPITEL
1
Irina Resnikowa band sich eine schmucke, bestickte Schürze über den eleganten Hausanzug, der aus einer dunkelgrünen Seidenhose und einer zartgrünen Bluse bestand, und begann, das Abendessen zuzubereiten. Artjom war in puncto Essen sehr anspruchsvoll, und sie gab sich immer größte Mühe, es ihm recht zu machen.
Es gibt noch Zeichen und Wunder, dachte Irina, während sie eine Zwiebel in feine Ringe schnitt und den verdünnten Essig mit Zucker verrührte. Irgendwann vor vielen Jahren hatte sie geglaubt, daß sie den jungen, ungeschlachten Aspiranten mit den bebrillten Augen glücklich gemacht hatte, indem sie ihm erlaubte, sie zu heiraten und ihr zukünftiges Kind als das seine anzuerkennen. Als man ihr auf der Entbindungsstation zum ersten Mal den neugeborenen Säugling brachte, entdeckte sie voller Überraschung ein winziges, bohnenförmiges Muttermal auf seinem Rücken. Artjom hatte genau dasselbe Muttermal, an genau derselben Stelle zwischen den Schulterblättern. Irina dachte ein wenig nach und erinnerte sich, daß sie Artjom tatsächlich irgendwann zu sich gerufen hatte, damit er ihr defektes Tonbandgerät reparierte, und für seinen Liebesdienst hatte sie ihn, wie immer, mit ihrem Körper bezahlt. Sie war damals schwer betrunken gewesen, wie übrigens jedesmal, wenn sie Artjom erlaubte, in ihr Bett zu kommen, in nüchternem Zustand tat sie das nie. Warum war sie damals, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, eigentlich so fest davon überzeugt gewesen, daß der Vater des Kindes ihr wunderbarer Prinz war? Wahrscheinlich deshalb, weil sie es so sehr wollte. In den ganzen neun Monaten war es ihr kein einziges Mal in den Sinn gekommen, daß der Vater des Kindes ihr komischer, verliebter Nachbar sein könnte.
Irina beschloß, die Überraschung bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus für sich zu behalten. Mit einem Lächeln erinnerte sie sich jetzt an die verwunderten Gesichter der Krankenschwestern beim Anblick des Paares, das sich unter irrem Gelächter auf der Schwelle des Krankenhauses umarmte. Artjom war etwas angespannt aus dem Auto gestiegen, mit einem riesigen Blumenstrauß in der Hand, und hatte schüchtern auf die Krankenschwester geblickt, die, neben seiner Frau stehend, den Säugling auf den Armen hielt. Irina ging rasch auf ihn zu und sagte ihm ein paar Worte, Artjom erstarrte zuerst, dann brach er plötzlich in haltloses Gelächter aus, er lachte und wischte sich dabei die Tränen aus den Augen. Schließlich begann auch Irina zu lachen. So standen sie da, beide lachend, überglücklich, wie es schien, und hatten offenbar sogar ihren Sohn vergessen.
Wer hätte damals gedacht, daß Irina sich in eine wunderbare Ehefrau verwandeln würde, die ihren Mann zärtlich umsorgte und sich jeden Tag ein Menü aus drei Gängen für ihn ausdachte. Niemals wäre sie selbst auf die Idee gekommen, daß so ein Leben ihr gefallen könnte. Allerdings, das mußte man Artjom lassen, verwöhnte er sie zum Dank für ihre häuslichen Mühen nach Strich und Faden, er machte mit ihr Urlaub
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