Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
nur der Chef Auskunft verlangen. Und selbst der nicht immer. Wir haben das Recht, etwas zu verschweigen. Hast du das nicht gewußt?«
»Offenbar hast du eine ganze Menge zu verschweigen.«
»Nun ja, ein Ermittlungsbeamter hat immer etwas zu verheimlichen«, lachte sie. »Könntest du denn Dascha wirklich so einfach verlassen?«
»Wahrscheinlich könnte ich es.« Sascha zuckte mit den Schultern. »Wenn ich erfahren sollte, daß sie in einen Kriminalfall verwickelt ist, würde ich es jedenfalls auf der Stelle tun.«
»Sie ist schwanger«, sagte Nastja unvermittelt und sah ihrem Halbbruder direkt ins Gesicht.
»Tatsächlich?« entgegnete er beinah ungerührt. »Dann wird sie eben eine Abtreibung machen. Zum Glück ist das heutzutage kein Problem.«
»Du bist ein Idiot! Ein dummer, selbstgerechter Egoist! Sie liebt dich, verstehst du, sie liebt dich! Kannst du das nicht begreifen? Sie liebt dich und will das Kind zur Welt bringen. Sie ist absolut sauber, mit irgendwelchen kriminellen Machenschaften hat sie nicht das geringste zu tun. Sie ist ein großartiges, unerschrockenes, wunderbares Mädchen. Du hast ein märchenhaftes Glück, daß sie dich liebt. Und du redest haarsträubenden Unsinn, nennst sie eine Geliebte und eine Kriminelle, du sprichst von ihr, als wäre sie eine von fünf Affären, die du gleichzeitig unterhältst, als wäre sie nur eins von fünf Mädchen, die dir allesamt nichts bedeuten. Vielleicht wird dich nie mehr jemand so lieben wie sie. Das ist doch genau das, was du so vermißt hast in deinem Leben und was du in der Tat mehr brauchst als alles andere auf der Welt. Du hast dich selbst an die Wand gedrängt, bildest dir allen möglichen Unsinn ein, hast ohne Liebe geheiratet, weil du glaubst, daß du vom Schicksal benachteiligt wirst. Warum hast du dich so beeilt, was hat dich getrieben? Warum hast du nicht auf die Frau gewartet, die du liebst? Wäre etwa die Welt untergegangen, wenn du statt mit zweiundzwanzig mit zweiunddreißig geheiratet hättest? Ich weiß, in deinem blödsinnigen business gelten eigene Gesetze, nur ein verheirateter Mann ist ein solider, zuverlässiger Mitarbeiter. Du wolltest dir ein Renommee schaffen, und jetzt, mit sechsundzwanzig, hast du einen Haufen Geld und noch mehr Komplexe, und du bist bereit, eine dich liebende Frau diesen zwei Reichtümern zu opfern. Ist es das, was du erreichen wolltest?«
Warum tue ich das? unterbrach Nastja sich innerlich. Das ist grausam. Ich hätte sanfter mit ihm sprechen müssen. Oder überhaupt den Mund halten. Was gehen mich seine Liebesangelegenheiten an? Was geht es mich an, ob er Dascha verläßt oder nicht? Aber schließlich ist er ja mein Bruder. Mir tut das Herz weh, wenn ich ihn anschaue. Obwohl – was heißt schon Bruder! Ich kenne ihn ja kaum. Aber er ist mir so ähnlich . . .
Alexander stand am Fenster und wandte Nastja den Rücken zu.
»Warum sollte ich dir glauben?« fragte er mit dumpfer Stimme, ohne sich umzuwenden.
»Dann glaub mir eben nicht«, sagte sie ruhig. »Aber laß uns endlich zu einem Schluß kommen. Entweder du glaubst mir und unterstützt mich, oder du glaubst mir nicht und hörst auf, mich zu stören. Entscheide dich!«
»Dasselbe kann ich zu dir sagen«, erwiderte Sascha starrsinnig. »Entweder du vertraust mir und legst die Karten auf den Tisch, oder . . .«
»Oder du stellst dich mir in den Weg und versuchst, mir zu schaden. Wolltest du das sagen? Hör zu, Kamenskij, in meinem Leben gab es nur einen einzigen Menschen, dem es gelungen ist, mich einzuschüchtern und mir seinen Willen aufzuzwingen. Ich gebe ehrlich zu, daß ich große Angst vor ihm hatte. Aber schließlich habe ich auch ihn ausgetrickst. Und der war ein anderes Kaliber als du. Hör also auf, mir zu drohen. Laß uns nicht streiten. Ich mache sowieso, was ich für richtig halte. Sogar mein Chef erlaubt mir das, und er ist Ermittlungsbeamter mit dreißigjähriger Dienstzeit auf dem Buckel, er beherrscht das Handwerk weit besser als ich.«
Alexander stand immer noch mit dem Rücken zu ihr, und Nastja bemerkte plötzlich, daß seine Schultern bebten.
»Sascha, was hast du?« fragte sie erschrocken. »Was ist los? Sascha!«
Sie sprang vom Sessel auf, trat zu ihm und drehte ihn zu sich um. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, er hielt mit Mühe die Tränen zurück.
»Saschenka, was ist denn? Habe ich dich gekränkt? Sei nicht böse, bitte. Du mußt doch nicht. . . Ist es wegen Dascha?«
Er nickte schweigend und schluchzte irgendwie tonlos
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