Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
allem erwartest du, daß ich dir glaube.«
»Ich verstehe dich nicht.« Nastja hob erstaunt die Augenbrauen. »Seit wann erweckt es Mißtrauen in dir, wenn ein Mensch seine Arbeit machen möchte? Ist das etwa ein Beweis für Verlogenheit und Heuchelei?«
»Gut, fangen wir noch einmal von vorne an. Ich bin mit einem Problem zu dir gekommen. Richtig?«
»Richtig.«
»Das Problem bestand darin, daß das Verhalten meiner Geliebten mir verdächtig erschien. Ich kannte sie damals nicht einmal zwei Monate, und es ist durchaus verständlich, daß ich nach dieser kurzen Zeit nicht von ihrer Ehrlichkeit überzeugt sein konnte. Deshalb habe ich dich um deine Hilfe gebeten, um herauszufinden, ob meine Geliebte womöglich eine banale Kriminelle und Bandenkomplizin ist. War es so?«
»Ja, so war es.« Nastja nickte. Sie hörte ihrem Halbbruder gern zu, er hatte eine Begabung für logische und folgerichtige Gedankengänge, und das gefiel ihr. Sie beobachtete Alexander und hörte nicht auf, sich darüber zu wundern, wie ähnlich sie einander waren, und das nicht nur äußerlich. Vielleicht war er etwas trockener, zynischer, kälter als sie. Obwohl man auch ihr kaum übertriebene Sentimentalität und Herzensgüte vorwerfen konnte.
»Du hast herausgefunden«, fuhr Alexander fort, »daß Dascha keine Kriminelle ist. Ich danke dir dafür, du hast mir einen großen Gefallen getan. Jetzt kann ich meinen Freunden wieder in die Augen sehen und sie ohne Befürchtungen zusammen mit meiner Freundin besuchen, weil ich dank deiner Hilfe weiß, daß ich ihnen keine Spionin ins Haus bringe. Das ist alles.«
»Ja, und weiter?« fragte Nastja ungeduldig. »Worum geht es?«
»Genau das sollst du mir erklären«, brauste Alexander erneut auf. »Nach meiner Ansicht geht es sonst um nichts mehr. Aber ständig passiert etwas, und jetzt behauptest du auch noch, daß Dascha irgendeine Gefahr droht. Wie soll ich das verstehen?«
Nastja streckte ihre eingeschlafenen Beine aus und stellte sie auf den Boden. Sofort spürte sie an ihren Füßen die feuchte, kalte Luft, die durch die heimtückischen Spalten der Balkontür ins Zimmer drang. Sie griff nach der braun karierten Decke, die auf dem Sofa lag, und legte sie sich auf die Knie, so daß ihre Füße bedeckt waren.
»Sascha«, sagte sie mit müder Stimme, »ich mache meine Arbeit. Ich muß Rätsel lösen, raten, tasten und in fremden Geheimnissen herumwühlen. Das ist nun einmal mein Beruf, verstehst du? Warum regt dich das so auf?«
»Weil diese ganze Arbeit keinen Pfifferling wert ist. Und wie soll ich das hier verstehen?« Er deutete mit dem Finger auf die Kassetten und Videos, die sich neben dem Fernseher türmten. »Woher diese ganze Informationsflut? Das alles kannst du nicht allein beschafft haben. Also arbeiten an diesem Fall noch andere Leute.«
»Ja, an diesem Fall arbeiten noch andere Leute«, bestätigte Nastja mit einem Seufzer. »Und was folgt daraus? Du hast offenbar deine eigene Version der Dinge. Ich bin bereit, dir zuzuhören.«
»Meine Version besteht in der Überzeugung, daß Dascha in Wirklichkeit doch nicht sauber ist. Du versuchst, ihr auf die Schliche zu kommen, aber mir sagst du nichts davon, weil du weißt, daß ich sofort meine Verbindung zu ihr abbreche, wenn ich erfahre, daß sie mit Kriminellen in Verbindung steht, und dann wirst du keinen Zugang mehr zu ihr haben. Solange sie die Geliebte deines Halbbruders ist, kannst du in Kontakt mit ihr bleiben, ohne sie mißtrauisch zu machen. Sobald sie nicht mehr meine Freundin ist, hast du keinen Grund mehr, dich mit ihr zu treffen. Oder du hältst mich für einen Schwachkopf und glaubst, daß ich sofort zu Dascha renne und alles ausplaudere, wenn du mir die Wahrheit sagst. Wenn nämlich noch andere Leute an dem Fall arbeiten, bedeutet das, daß wirklich ein Fall existiert. Du kannst mich erschlagen, aber ich glaube nicht daran, daß es bei dir in der Petrowka Leute gibt, die aus reinem Enthusiasmus arbeiten, weil die Neugier sie treibt oder weil sie dir einen persönlichen Dienst erweisen wollen. Wenn ermittelt wird, dann gibt es eine Anweisung von oben und einen ganz realen Kriminalfall. Habe ich etwa nicht das Recht, die Wahrheit über diese Dinge zu erfahren?«
»Nein, hast du nicht«, sagte Nastja mit einem entwaffnenden Lächeln. »Du hast kein Recht darauf, Sascha. Darin liegt der Reiz meines Berufs. Wenn ich will, rede ich, wenn ich nicht will – nimm es mir nicht übel, aber von einem Mitarbeiter der Kripo kann
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