Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
erscheinen, und bis dahin mußte Nastja die Situation auf Gedeih und Verderb irgendwie retten. Sie wählte den einfachsten Weg.
»Ljoscha«, sagte sie, während sie die zweite Tasse ihres Morgenkaffees austrank und sich die dritte Zigarette anzündete, »bitte verzeih mir. Ich habe mich gestern falsch verhalten. Ich war im Unrecht. Verzeihst du mir?«
»Was bleibt mir anderes übrig?« sagte Tschistjakow mit einem hörbaren Seufzer der Erleichterung. Er hatte, ebenso wie Nastja, eine Abneigung gegen Konflikte, besonders dann, wenn es dabei um nichts ging. »Aber vergiß bitte trotzdem nicht, daß mir immer bewußt ist, wo du arbeitest und daß ich mir immer Sorgen um dich mache. Wirst du daran denken?«
»Was bleibt mir anderes übrig?« wiederholte Nastja die Worte ihres Mannes in neckendem Tonfall und schnitt ihm eine Grimasse. Der Konflikt war beigelegt.
Jura Korotkow brachte ein dickes Kuvert mit Fotos mit. Anton Schewzow hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Auf den Fotos waren sämtliche Personen festgehalten, die sich zum Zeitpunkt des Mordes im Standesamt aufgehalten hatten. Wirklich alle bis zur letzten. Nastja breitete die Aufnahmen vor sich auf dem Fußboden aus und nahm die von Korotkow erstellte Personenliste zur Hand. Die Bräute und ihre angehenden Ehemänner sahen alle gleich aus, und es bedurfte einiger Mühe, um die Rückseiten der Fotos mit den Namen derer zu beschriften, die darauf abgebildet waren. Sie verbrachten fast drei Stunden mit dieser Arbeit, bis sie feststellten, daß die Anzahl der Namen in der Liste genau mit der Anzahl der auf den Fotos festgehaltenen Personen übereinstimmte.
»Es geht nicht auf«, sagte Nastja beunruhigt. »Auf der Liste muß ein Name fehlen.«
»Warum?«
»Der Fotograf kann nicht auf den Fotos sein, aber sein Name steht auf der Liste. Wenn dort vierundfünfzig Namen angegeben sind, dann müssen auf den Fotos dreiundfünfzig Personen zu sehen sein. Aber es sind ebenfalls vierundfünfzig. Wir müssen noch einmal von vorn anfangen.«
Sie sahen sämtliche Fotos noch einmal gründlich durch und entdeckten schließlich das eine, das nicht vollständig beschriftet war. Darauf war eine etwa fünfzigjährige Frau mit einem ausgetrockneten, abgezehrten Gesicht und seltsam angestrengtem Ausdruck in den Augen zu sehen. Nastja war davon überzeugt, daß sie diese Frau im Standesamt nicht gesehen hatte.
»Wer ist das?« fragte sie, und hielt Korotkow das Foto hin.
»Keine Ahnung«, sagte er, während er das Gesicht der Frau betrachtete. »Sie war nicht unter den Anwesenden, das steht fest.«
»Doch, sie war«, korrigierte ihn Nastja, »aber sie ist verschwunden. Sie war da, als die Leiche entdeckt wurde, denn Schewzow begann sofort in dem Moment zu fotografieren, als die Panik ausbrach. Und sie hat das Gebäude verlassen, bevor wir die Ausgänge sichern konnten. Wir müssen dringend feststellen, wer sie ist. Wir müssen das Foto allen zeigen, die auf dem Standesamt waren, vielleicht gehörte sie zu einem der Brautpaare. Oder sie ist eine Mitarbeiterin des Standesamtes.«
»Nein«, sagte Korotkow mit einem Kopfschütteln, »die Mitarbeiter des Standesamtes waren alle anwesend, das habe ich überprüft. Am ehesten gehörte sie zu den Hochzeitsgästen. Aber warum ist sie weggegangen?«
»Dafür kann es viele Gründe geben. Sie kann hinausgegangen sein, um frische Luft zu schnappen, Blumen zu kaufen oder zu telefonieren. Vielleicht wollte sie etwas aus dem Auto holen. Sie ging hinaus und kam nicht mehr ins Gebäude, weil wir inzwischen die Eingänge versperrt hatten.«
»Aber sie hätte etwas sagen können, dann hätte man sie durchgelassen.«
»Vielleicht hat sie Angst bekommen. Wie auch immer, Jura, wir müssen sie finden. Sie könnte etwas gesehen oder gehört haben.«
»Natürlich werden wir sie finden, das ist das geringste Problem. Aber laß uns erst mal Ljoscha fragen, vielleicht hat er sie gesehen.«
Aber auch Tschistjakow konnte sich an die auf dem Foto abgebildete Frau nicht erinnern.
* * *
Sie beschlossen, mit den Bartoschs und Turbins zu beginnen, denn der Schuß auf dem Standesamt konnte einem beliebigen Mädchen gegolten haben, aber der Drohbrief bei weitem nicht jedem. Der Absender mußte gewußt haben, daß dieses Mädchen am nächsten Tag heiratete, und er mußte die Adresse gekannt haben. Aus ihrem eigenen Umfeld fiel Nastja niemand ein, der ihre Hochzeit hätte verhindern wollen, deshalb mußte man unter den Bekannten von Elena Bartosch und
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