Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Valerij Turbin suchen.
Tamila Bartosch empfing Korotkow in einem strengen, sachlichen Kostüm und demonstrierte mit ihrem ganzen Gebaren, daß sie eine Menge zu tun hatte und auf dem Sprung war, das Haus zu verlassen. Nur in diesem besonderen Fall war sie bereit, etwas von ihrer kostbaren Zeit zu opfern.
»Ich denke, Sie sollten diesem dummen Drohbrief nicht so viel Beachtung schenken«, sagte sie hochmütig, während sie mit einem Löffelchen bedächtig in einer Tasse aus teurem Porzellan herumrührte, in der frisch gebrühter englischer Tee dampfte. »Ich nehme an, daß die Drohung viel eher meinem Mann gilt als meiner Tochter.«
»Das heißt, Sie sind davon überzeugt, daß Elenas bevorstehende Heirat . . . sagen wir, daß diese Heirat für niemanden mit negativen Gefühlen besetzt ist?«
»Um Himmels willen«, lachte Tamila. »Wen könnten Elenas Heiratspläne tangieren!«
»Könnte nicht vielleicht Eifersucht im Spiel sein?«
»Ich versichere Ihnen, daß Elena, seit sie Valerij kennt, keinen einzigen Verehrer hatte.«
»Und wie war es davor?«
»Es gab ein paar Kindereien, die letzte endete einige Monate vor Elenas Begegnung mit Turbin. Nein, nein, von Eifersucht kann überhaupt keine Rede sein.«
»Sagen Sie, Tamila Schalwowna, warum sollte als Trauzeugin Ihrer Tochter ausgerechnet Ihre Nichte auftreten?«
»Warum denn nicht? Was sollte daran falsch sein?«
»Gar nicht, es ist nur sehr ungewöhnlich. In der Regel übernimmt diese Rolle die beste Freundin der Braut. Nicht umsonst existiert der Begriff der Brautfreundin. Oder hat Ihre Tochter etwa keine solche Freundin?«
Was war das? Täuschte sich Korotkow, oder flog tatsächlich ein kleiner Schatten über Tamilas Gesicht?
»Wissen sie, Eljas einstige Schulfreundinnen leben alle ihr eigenes Leben, sie studieren, arbeiten oder haben inzwischen geheiratet. Elja hat keinen Kontakt mehr zu ihnen. Genauer, sie haben keinen Kontakt mehr zu ihr. Verstehen Sie, ein Mädchen aus einer wohlhabenden Familie, das keiner ernsthaften Beschäftigung nachgeht. . . das schreckt die anderen Mädchen ab.«
»Heißt das, daß ihre Tochter keine einzige Freundin hat? Ich kann das nicht glauben, Tamila Schalwowna.«
»Nun ja . . .«, sagte sie stockend, »es gibt nur Katja.«
»Welche Katja?«
»Katja Golowanowa. Sie wohnt im selben Haus, nur in einem anderen Aufgang. Eine Schulfreundin von Elena.«
»Haben die Mädchen sich zerstritten?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?«
»Warum hat Elena dann nicht sie zu ihrer Trauzeugin gewählt? Das wäre doch naheliegend gewesen.«
»Ich glaube, Elja hat mir gesagt, daß Katja an diesem Tag beschäftigt ist. Eine Prüfung an der Uni oder irgend etwas in dieser Art. . .«
»Wie hat Ihre Tochter auf den Drohbrief reagiert?
»Nun ja . . .« Tamila zuckte mit den Schultern. »Sie war natürlich erstaunt.«
»Nur erstaunt? Nicht erschrocken?«
»Nein, ich habe nicht bemerkt, daß sie sonderlich erschrocken gewesen wäre.«
»Wo ist Elena jetzt?«
»Sie ist mit ihrem Vater ein bißchen ins Grüne gefahren. Sie muß sich entspannen, zur Ruhe kommen.«
»Ist Turbin auch mitgefahren?«
»Nein, nur die beiden.«
»Wann werden sie zurückkommen? Ich muß mich mit Ihrer Tochter unterhalten.«
»Wahrscheinlich gegen Abend.«
* * *
Weiß und schwarz, schwarz und weiß. . .
Die ganze Welt besteht nur aus diesen zwei Farben. Sie haben mich nicht aufgenommen in den Kreis der Weißen, sie haben mich gezwungen, mich anzubieten und zu erniedrigen, und dann haben sie mich verschmäht, sie haben mich ausgesondert, grob, mitleidlos, mit einem Ausdruck des Abscheus im Gesicht. Sie haben gesagt, daß zu den Weißen nur die Besten gehören, die Würdigsten. Die Allerweißesten.
Und ich?
Ist meine Farbe denn nicht die allerweißeste? War denn jemals auch nur der kleinste Schmutzfleck auf mir? Warum haben sie mich verschmäht?
Ich weiß es.
Weil sie nur so tun, als seien sie weiß. In Wirklichkeit sind ihre Seelen schwarz, ihre Hände und ihre Gedanken sind schwarz. In Wirklichkeit brauchen sie keine Weißen, sie brauchen Schwarze in weißen Kleidern. Schwarze, die sich weiß schmücken können. Ich kann das nicht.
Aber dafür kann ich jetzt etwas anderes. Ich kann Schwarz und Weiß miteinander verbinden. Wer sagt, daß die Mischung aus Schwarz und Weiß Grau ergibt? Das ist nicht wahr. Nicht im Grau sind diese Farben vereint.
Sie sind vereint im Rot. Rot. Die Farbe des Blutes. Die Farbe des Todes. Vor dem Roten sind die Schwarzen
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