Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
Frau erinnern können. Haben Sie die Aufnahmen bei sich zu Hause?«
»Nein, ich habe die Abzüge ja im Fotolabor gemacht, und nur je einen, damit es schneller geht. Arbeiten Sie jetzt an dem Fall?«
»Nicht wirklich . . . Ich bin seit heute im Urlaub. Meine Beteiligung an der Aufklärung der Mordfälle ist rein persönlicher Art. Ich betätige mich, sozusagen, als Hobby-Detektivin.«
»Sagten Sie, Aufklärung der Mordfälle?« Anton machte erneut eine Verschnaufpause. Nastja konnte hören, wie schwer ihm das Atmen fiel. »Hat es etwa mehrere gegeben?«
»Ja, zwei. Am selben Tag, zwei Stunden zuvor, wurde auf einem anderen Standesamt ebenfalls eine junge Braut erschossen. Deshalb bin ich so an dieser geheimnisvollen Frau interessiert. Vielleicht hat man sie auf dem anderen Standesamt ja auch gesehen. Ich wollte Sie eigentlich um das Negativ bitten, um einige Abzüge davon machen zu können. Aber das ist nicht so wichtig, die Abzüge können wir auch vom Positiv machen lassen. Sind die Negative auch im Labor?«
»Ja. Wenn ich es gewußt hätte, hätte ich sie nach Hause mitgenommen. Ich habe mich am Samstag sehr beeilt, kaum waren die Abzüge trocken, bin ich wieder losgestürmt. Ihr Kollege hat mich erwartet.«
»Ich danke Ihnen, Anton. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Werden Sie bald wieder gesund.«
Nastja legte den Hörer auf und lehnte sich im Stuhl zurück. Zum wiederholten Mal stellte sie an diesem Tag fest, daß die Wahrnehmung ihres Büros jetzt, da sie sich offiziell im Urlaub befand, eine ganz andere war als sonst. Dieselben Wände, dasselbe Fenster, der Schreibtisch, das Telefon, der Safe – alles wie immer, aber sie hatte das seltsame Gefühl, hier fremd zu sein, sich illegal an diesem Ort aufzuhalten.
Natürlich hatte sie es nicht ausgehalten und war gleich am Morgen ins Büro gefahren. Ljoscha hatte nur das Gesicht verzogen, als sie ihm zaghaft mitgeteilt hatte, daß sie kurz in der Petrowka vorbeischauen wollte.
»Fahr nur«, hatte er gesagt, »so werde ich in der Zwischenzeit guten Gewissens deinen Computer benutzen können. Ich sehe ja, daß du auf Kohlen sitzt. Zu Hause wirst du ohnehin keine Ruhe finden.«
Im Gegensatz zu Tschistjakow war Oberst Gordejew nicht begeistert von Nastjas Arbeitseifer.
»Du mußt lernen, auch einmal abzuschalten«, raunzte er, als er ihr auf dem Korridor begegnete. »Du tanzt schon wieder auf fremden Hochzeiten, anstatt auf deiner eigenen.«
Zuerst wollte Nastja gekränkt sein, aber dann überlegte sie es sich anders. Sie hatte ohnehin schon genug im Kopf.
Also. Zwei völlig gleiche Morde, begangen im Abstand von zwei Stunden. Beide jungen Frauen wurden durch einen Schuß aus einem Revolver vom Kaliber 7,62 mm getötet, Tatort war jeweils die Toilette des Standesamtes. Ganz offensichtlich wurde ein Revolver mit Schalldämpfer verwendet, denn in beiden Fällen hatte niemand einen Schuß gehört. Der Mörder mußte den Moment abgewartet haben, in dem die Frauen allein in der Toilette waren, und dann aus einer Entfernung von höchstens anderthalb Metern geschossen haben. Soweit die Fakten. Er muß reichlich kaltblütig sein, überlegte sie, da es ihm in beiden Fällen gelungen ist, unbemerkt die Damentoilette zu betreten und wieder zu verlassen, mit anderen Worten, den Moment abzuwarten, in dem niemand auf dem Korridor war. So einen Moment abzupassen, ist alles andere als einfach. Aber dieses Kunststück ist ihm gelungen. Oder ist es nicht ihm gelungen, sondern ihr? Kann ein Mann unbemerkt eine Damentoilette betreten und sie ebenso unbemerkt wieder verlassen? Und noch etwas: um den Moment abzupassen, in dem die Lage am günstigsten ist, muß man den entsprechenden Ort lange beobachten. Also muß der Mörder oder die Mörderin sich lange Zeit irgendwo am Ende des Korridors aufgehalten haben, da, wo sich die Damentoilette befindet. Es sieht ganz so aus, als handele es sich um eine Frau. Deshalb muß dringend die Identität jener älteren Frau festgestellt werden, die auf dem Foto von Anton Schewzow zu sehen ist.
Nastja las noch einmal die Tatortprotokolle durch. Das stellte ihre bisherigen Überlegungen wieder in Frage. Die Lage der Leiche auf dem Fußboden deutete darauf hin, daß der Schuß auch von der Türschwelle aus abgegeben worden sein konnte. Beide Standesamtgebäude waren von völlig gleicher, standardisierter Bauweise, entsprechend identisch waren auch die Gästetoiletten angelegt. Sie hatten einen gemeinsamen Eingang für Damen und Herren, der
Weitere Kostenlose Bücher