Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
vor, Valerij Turbin kaum zu kennen, obwohl sie dasselbe Hochschulinstitut besucht, an dem Turbin gerade als Aspirant arbeitet und für das er seine Doktorarbeit schreibt. Es ist ganz klar, daß Elena ihn nicht in der Straßenbahn oder in der Menschenschlange vor einer Theaterkasse kennengelernt hat, sondern durch Katja. Zudem hat sie ihn im Gespräch einmal aus Versehen Valerij genannt, obwohl wir von ihm bis dahin immer nur als von Turbin gesprochen hatten.«
»Und was sagt Katja zu all dem?«
»Sie sagt gar nichts. Und ich habe sie nicht in meine Überlegungen eingeweiht. Soll sie ruhig noch eine Weile lügen, es ist noch zu früh, sie an der Gurgel zu packen. Weiter. Während unseres Gesprächs hat sie bemerkt, daß es manchmal besser ist, klein und dumm zu sein als erwachsen und gescheit. Was hältst du von so einer Äußerung?«
»Denkst du, daß sie damit Elena meint?«
»Ich bin überzeugt davon. Übrigens hat sie ihr Fernbleiben von Elenas Hochzeit damit erklärt, daß sie ihre Eltern nicht mag. Und sie hat sehr feindselig über Tamila Schalwowna gesprochen, die Mutter ihrer Freundin. Sie meint, diese Frau würde über Leichen gehen, wenn es sein muß. Und sie hält es für möglich, daß der Drohbrief an Elena von ihr stammt.«
»Von wem? Von der Mutter?«
»Ja. Das sagte sie jedenfalls. Offenbar hat Tamila ganz entschieden etwas gegen den Bräutigam ihrer Tochter.«
»Und warum hat sie dann zugelassen, daß Elena das Aufgebot bestellt? Warum hat sie nichts dagegen unternommen?«
»Elena hat sie ganz einfach nicht gefragt. Sie und Turbin haben das Aufgebot heimlich bestellt, ohne ihren Eltern etwas davon zu sagen. Erst vor zwei Wochen haben sie Farbe bekannt. Und noch ein interessantes Detail: Ursprünglich war die Trauung zwischen Elena und Turbin für halb zwei Uhr vorgesehen. Aber vor zwei Wochen war Tamila Schalwowna auf dem Standesamt und hat darauf bestanden, daß man das Paar als erstes traut, gleich morgens nach der Öffnung des Standesamtes. Wie gefällt dir das?«
»Es gefällt mir ganz und gar nicht, Jura«, sagte Nastja mit einem schweren Seufzer. »Um zehn Uhr morgens ist das Standesamt noch fast menschenleer. Eine sehr günstige Ausgangssituation für ein Verbrechen.«
»Genau das war auch mein Gedanke. Also haben wir einerseits Elenas Mutter und andererseits diese unbekannte Frau auf dem Foto. Wen sollen wir favorisieren?«
»Du vergißt diese seltsame Katja.«
»Meinst du?« Korotkow betrachtete Nastja mit einem zweifelnden Blick.
»Was gibt es da zu meinen? Das Mädchen kennt Turbin besser, als es zugibt. In Verbindung damit, daß sie nicht an der Hochzeit teilnehmen wollte, ergibt das das klassische Motiv der Eifersucht. Turbin hat die hübsche, etwas dümmliche Elena vorgezogen, die zudem Tochter reicher Eltern ist. Sehr kränkend.«
»Irgendwie sind bei uns nur Frauen im Spiel. Laß uns der Vollständigkeit halber einen Mann einbeziehen. Zum Beispiel Elenas Vater.«
»Was ist mit ihm? Mag er Turbin auch nicht?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß Katja Golowanowa ihn nicht mag. Sie bezeichnet Elenas Eltern beide als Snobs, die es niemals zulassen würden, daß ein armer Schlucker in ihren Clan eindringt.«
»Und in all diesen so erbaulichen Zusammenhängen müssen wir das Fädchen suchen, das zu den Standesämtern führt.«
»Stschelkowskaja. Endstation. Die Fahrgäste werden gebeten, hier auszusteigen, der Zug endet hier«, krächzte der Lautsprecher direkt über ihren Köpfen.
Sie fuhren die Rolltreppe hinauf und gingen zur Bushaltestelle.
»Ach, wie gut, daß es langsam wärmer wird, bald ist Sommer«, sagte Nastja verträumt. »Ich mag die Kälte nicht. Ich friere immer, wie warm ich mich auch anziehe. Am liebsten würde ich irgendwo leben, wo das ganze Jahr über eine Temperatur von zweiundzwanzig Grad herrscht.«
»Wandere in die Tropen aus, dort ist es warm«, riet ihr Korotkow spöttisch. »Du bist ja jetzt Professorengattin, dir stehen alle Wege offen.«
»Nein, in den Tropen ist es zu schwül. Das vertrage ich nicht, ich habe einen labilen Kreislauf.«
»Dir kann man aber auch gar nichts recht machen. Hier kommt dein Bus . . .«
Korotkow wartete, bis Nastja eingestiegen war, winkte ihr noch einmal zu und ging zurück zur Metro.
* * *
Der sympathische, schwarzäugige Mischa Dozenko trieb sich seit dem Morgen auf dem Standesamt in Kunzewo herum und legte allen Mitarbeitern das Foto der unbekannten Frau vor.
»Ich glaube, ich habe sie gesehen«,
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