Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
seine Geduld nicht noch mehr strapazieren. Bitte finde Korotkow, ja?«
»Du bist gut. Wo soll ich ihn denn finden?! Wenn er nach Hause kommt, wird es wahrscheinlich bereits Mitternacht sein. Denkst du etwa, für ihn wird man Verständnis haben, wenn er, kaum nach Hause gekommen, sofort wieder losrennt? Du machst mir Spaß. Dein Ljoscha ist wenigstens ein normaler Mensch, aber du kennst ja Juras Frau. Die macht ihm die Hölle heiß. Kurz, Nastja, entscheide: Entweder du kommst selbst, oder wir warten bis morgen.«
»Warte einen Moment, leg nicht auf, ich spreche kurz mit Ljoscha.«
Sie hielt die Muschel mit einer Hand zu und blickte schuldbewußt zu ihrem Mann hinüber, der völlig ungerührt am Tisch saß und Tee trank, so als hätte er von allem nichts gehört, obwohl er natürlich jedes Wort verstanden hatte.
»Ljoscha, wir beide müssen noch einen kleinen Ausflug machen.«
»Wir beide?« erkundigte er sich, während er sich seelenruhig einen Orangenkeks in den Mund schob.
»Ja, wir beide. Jemand ist ins Fotolabor des ›Kriminalboten‹ eingebrochen, wo Schewzow arbeitet. Anton selbst ist krank, etwas mit dem Herzen. Es muß dringend überprüft werden, ob die Negative der Aufnahmen verschwunden sind, die er auf dem Standesamt gemacht hat. Außer uns beiden kann das niemand tun, verstehst du? Nur wir beide haben sämtliche Aufnahmen gesehen, Korotkow hat sie uns gestern gezeigt.«
»Nun ja, dann müssen wir eben fahren«, sagte Tschistjakow ohne größere Gemütsbewegung. »Und hör bitte auf, mich vor deinen Kollegen als zänkische Hausfrau hinzustellen.«
»Ich danke dir, mein Herzblatt«, sagte Nastja erleichtert.
Eine Dreiviertelstunde später betraten sie bereits das Gebäude, in dem sich die Redaktion des »Kriminalboten« befand. Und nach anderthalb Stunden wußten sie, daß die Negative der von Schewzow zuletzt gemachten Aufnahmen verschwunden waren.
FÜNFTES KAPITEL
Die Mutter von Valerij Turbin empfing Korotkow nicht besonders freundlich. Sie öffnete ihm die Tür, bat ihn widerwillig herein, setzte sich ihm gegenüber und durchbohrte ihn mißtrauisch mit ihren kleinen Augen.
»Ja, ich bin froh, daß die Hochzeit nicht stattgefunden hat«, erklärte sie, ohne die Augen von Korotkow abzuwenden.
»Warum denn, Veronika Matwejewna? Gefällt Elena Ihnen nicht?«
»Ich habe nichts gegen Elena, sie ist ein sehr nettes Mädchen. Ich bin einfach der Meinung, daß es für meinen Sohn noch zu früh zum Heiraten ist. Er kann jetzt noch keine Familie ernähren.«
»Aber Valerij ist bereits siebenundzwanzig. Finden Sie, daß er noch zu jung ist, um eine Familie zu gründen?« fragte Korotkow mit aufrichtigem Erstaunen. Er selbst hatte gleich nach Abschluß der Polizeischule geheiratet, mit einundzwanzig Jahren.
Veronika Matwejewnas Reaktion auf seine unschuldige Frage gab ihm Rätsel auf. Sie wandte ihre Augen ab und schwieg. Jurij fragte sich, was er falsch gemacht, womit er seine Gesprächspartnerin offenbar schmerzlich berührt hatte. Er mußte die Situation um jeden Preis retten. Ihm fiel plötzlich ein, daß Veronika Matwejewna bereits siebzig war, eine ziemlich alte Mutter für einen siebenundzwanzigjährigen Sohn. Sie mußte ihn also mit dreiundvierzig Jahren geboren haben. So etwas kam nicht allzu häufig vor; außer. . .
»Ist Valerij Ihr einziges Kind?« fragte er.
Die Frau wurde bleich, ihre rot geschminkten Lippen sahen plötzlich fast schwarz aus auf dem erdgrauen Hintergrund ihres Gesichts.
»Sind Sie gekommen, um mit mir über die nicht stattgefundene Hochzeit zu sprechen oder über meine Familienangelegenheiten?« fragte sie mit schneidender Stimme, deren Klang Angst verriet.
»Ich habe mich nur gefragt, ob Ihre negative Einstellung zur Heirat Ihres Sohnes vielleicht damit zusammenhängt, daß Ihre anderen Kinder kein Glück in der Ehe gefunden haben.«
»Nein«, erwiderte Veronika Matwejewna brüsk. »Ich habe keine anderen Kinder. Valerij ist mein einziges.«
»Erzählen Sie mir von seinem Vater«, sagte Korotkow und begriff sofort, daß er einen wunden Punkt getroffen hatte.
Das Gesicht der Frau verzerrte sich plötzlich bis zur Unkenntlichkeit, die Finger ihrer runzeligen Hände krallten sich so fest ineinander, daß es schien, keine Macht der Welt könnte sie je wieder trennen, und in ihren kleinen dunklen Augen flammte Haß auf.
»Ich habe nicht vor, mich mit Ihnen über den Mann zu unterhalten, der Valerijs Vater ist. Zumal er längst nicht mehr unter den Lebenden
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